Im Tal der Sehnsucht
mich schnell um.“
Der Abend war angenehm mild. Unzählige Sterne standen am Himmel und spiegelten sich im Wasser des Hafenbeckens. Es sah aus, als wären kostbare diamantene Knospen auf dem dunklen Wasser erblüht.
Alle Menschen schienen glücklich verliebt zu sein. Pärchen jedes Alters schlenderten die Straße entlang oder bewunderten die Auslagen in den hell erleuchteten Schaufenstern unter den Arkaden. Von irgendwo klang Musik herüber – eine altbekannte Melodie in modernem Rhythmus. Eine Familie kam ihnen entgegen, ein Paar mit zwei Kindern, die ihren Abendspaziergang sichtlich genoss.
Wie weltoffen und lebendig Sydney wirkt, dachte Leona. Vor ihnen stand der Sydney Tower, eines der höchsten Gebäude südlich des Äquators. Sie hatte schon oft in einem seiner Restaurants gegessen, die sich langsam drehten und den eindrucksvollsten Panoramablick über die Stadt boten. Am Tag war alles von dort oben zu erkennen – der im Sonnenlicht funkelnde Sydney Harbour, die Harbour Bridge, das Opernhaus mit seinem leuchtend weißen segelförmigen Dach, das sich im blauen Wasser spiegelte, die Wolkenkratzer in der City und jenseits davon die golden schimmernden Sandstrände. Nach Osten konnte man weit über den Pazifik sehen, nach Westen auf die Bergkette der Great Dividing Range.
Leona liebte ihre Heimatstadt, und als sie beim Essen in dem Restaurant saßen, half ihr die ausgezeichnete italienische Küche zusätzlich über das Erlebte hinweg. Sie trank zwei Gläser Rotwein und forderte Boyd – ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit – auf, ihr ein drittes Glas einzuschenken. Sie mochte Wein, am liebsten Champagner, aber immer in Maßen. Heute Abend empfand sie die beruhigende Wirkung besonders stark, doch sie musste ja nicht mehr fahren. Ob sie heute überhaupt noch in ihre Wohnung kommen würde?
Nachdem sie die erste Flasche geleert hatten, bestellte Boyd eine zweite. Er schien völlig nüchtern, aber wenn er sie noch nach Hause bringen wollte … Alkohol am Steuer wurde schwer geahndet, und die Blanchards, allen voran Boyd, vermieden es akribisch, ins Gerede zu kommen. Vielleicht wollte er ihr ein Taxi rufen, doch das hätte sie seltsamerweise gekränkt, wie sie sich eingestehen musste.
Die niedrigen, hübsch beschnittenen Bäume, die das exklusive Restaurant von seiner Umgebung abschirmten, waren mit weißen Lichterketten geschmückt. Leona hatte noch nie hier gegessen, und es gefiel ihr ausnehmend gut. Natürlich hatte Boyd diesen Winkel ausfindig gemacht. Die Kellner waren angenehm zurückhaltend, achteten dabei aber auf jeden Wink. Wahrscheinlich belohnte Boyd diese Aufmerksamkeit mit einem üppigen Trinkgeld.
„Geht es dir besser?“
„Viel besser.“ Leona machte sich klar, dass er sie wahrscheinlich die ganze Zeit beobachtet hatte. „Dies ist wirklich ein besonders gutes Restaurant.“
„Mein Geheimtipp“, sagte er und lächelte so zärtlich, dass ihr warm wurde.
„Nicht mehr lange“, neckte sie ihn. „Ich werde bestimmt mit Freunden wiederkommen. Der Koch müsste berühmt sein.“
Boyd zog eine Augenbraue hoch. „Mit Freunden?“ Sie überhörte die Frage. „Wie soll ich übrigens nach Hause kommen? Etwa auch zu Fuß?“
„Das wäre dir zuzutrauen.“ Boyd trank seinen Mokka aus und bat um die Rechnung. „Wie schaffst du es, so zart und gleichzeitig so sportlich zu sein?“
„Ich trainiere.“ Sie sah zu, wie er ein stattliches Trinkgeld aufschlug, bevor er die Rechnung mit seiner Kreditkarte zurückgab.
Draußen spielte ein junger Musiker virtuos auf seiner Geige romantische Melodien. Er musste die Meisterklasse an der Musikhochschule absolviert haben. Vielleicht spielte er mit ein bisschen zu viel Schmelz, was der Grund dafür sein mochte, dass er in keinem Orchester untergekommen war. Einige Passanten standen um ihn herum, hörten zu und gingen weiter, nachdem sie dankbar applaudiert hatten.
„Gib ihm etwas“, sagte Leona, ohne zu bedenken, dass sie Boyd nicht bitten musste.
„Das tue ich immer. Ich bin ein großzügiger Mann. Ist dir das noch nicht aufgefallen?“
„Und jetzt?“, fragte sie, nachdem er dem Geigenvirtuosen einen Schein zugesteckt hatte. „Nehmen wir ein Taxi?“
„Ich hatte gehofft, du würdest über Nacht bleiben.“
Leonas Herz setzte einen Schlag aus und begann dann wild zu klopfen. Es war nicht leicht, jemanden zu lieben und das gleichzeitig zu verbergen. Mehr noch, es war eine Qual, aber wie sollte sie ihre Liebe einem Mann gestehen, der nicht
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