Im Tal der Sehnsucht
Augen. „Ich hätte Ruperts Haltung mir gegenüber besser verstanden. Ich war nie ein eigenständiger Mensch für ihn. Wenn er mich ansieht, sieht er nicht mich, er sieht meine Mutter.“
„Viele Leute achten auf Familienähnlichkeiten“, sagte Boyd ruhig. „Ich kann zum Beispiel kaum noch die Menschen zählen, die Bemerkungen über die Form und Farbe meiner Augen gemacht haben. Jeder weiß, dass ich sie von meiner Mutter geerbt habe.“
„Dann bleibt etwas von ihnen zurück?“, fragte Leona schon etwas gefasster.
„Unbedingt.“
Das tröstete sie nicht. „Ruperts Verlangen nach meiner Mutter war krankhaft. Anders kann ich es nicht ausdrücken. Sie war eine glücklich verheiratete Frau. Außerdem hatte er selbst die beste und schönste Frau … deine Mutter. Ich wusste immer, dass Alexa gelitten hat.“
„Die meisten Menschen lernen auch das Leid kennen“, antwortete Boyd ernst. Er nahm ihr das Kissen weg und warf es auf einen Stuhl. „Sich zu verlieben hat wenig mit Vernunft zu tun. Liebe kann blind machen, und was hat Dad schon Schlimmes getan? Er hat Serena nicht so verfolgt wie anderes, was er besitzen wollte. Er hat sich nicht scheiden lassen, obwohl seine Ehe nur noch Schein war. Mum blieb meinetwegen bei ihm … nicht seinetwegen. Ich sage es ungern, aber Dad ist für mich ein Opfer. Sich in die falsche Frau zu verlieben kann die Hölle sein.“
„Glaubst du das wirklich?“
„Ich habe höllisch lange auf dich gewartet, Darling!“
Leona erschrak, doch der Schreck verwandelte sich in Jubel und gleich darauf in Misstrauen. „Dann hast du schon früher ernsthaft mit mir gerechnet?“, fragte sie. „Auf eine Art hasst du deinen Vater, nicht wahr?“, fuhr sie fort, ohne eine Antwort abzuwarten.
Boyd nahm ihre Hand. „Nein. Ich hasse ihn nicht. Wie könnte ich? Ich möchte niemanden hassen, denn das führt zu nichts. Außerdem ist er mein Vater und hat immer zu mir gehalten.“
Sie entzog ihm ihre Hand. „In diesem Fall nicht!“ Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als ihr ein furchtbarer Gedanke kam. „Willst du mich deshalb? Um deinen Vater zu besiegen?“
„Das meinst du nicht ernst!“ Boyds blaue Augen funkelten.
„Ist es so?“ Leona musste es wissen. „Jeder sieht doch die Rivalität zwischen dir und deinem Vater!“
„Da ist nichts zu sehen.“ Er versuchte, ruhig zu bleiben. „Die Rivalität geht nur von Dad aus. Ich habe immer versucht, ihm ein guter Sohn zu sein und ein würdiger Nachfolger. Ich weiß, wie sehr er selbst unter seinem Vater gelitten hat. Ich stehe auch unter Druck, aber nicht so wie er. Kinder von Reichen erfahren oft wenig Liebe. Das kennst du doch auch.“
„Ja“, gestand Leona. „Dabei war ich nicht mal ein besonders reiches Kind.“
„Du bist Teil der Familie.“
„Nun, unter deine Fittiche genommen zu werden war genug Reichtum für mich“, sagte sie ironisch. „Und dann ist da noch die Tatsache, dass mein Nachname Blanchard ist.“
„Und das wird auch so bleiben.“
Leona wünschte sich nichts mehr, als dass er sie in die Arme nahm und ganz fest hielt. Trotzdem hakte sie noch einmal nach. „Weil du es so willst?“, fragte sie.
„Weil ich es so will“, antwortete Boyd gelassen, mit der ihm eigenen natürlichen Überlegenheit.
„Dann ist es meine Pflicht, dich zu heiraten?“ Es war verrückt, aber sie konnte diese Sticheleien nicht lassen. „Ein bisschen wie in den Königshäusern? So nach dem Motto: Leona weiß schon, wie die Dinge laufen. Sie wird keinen Ärger machen. Und irgendwann, wenn die Familie den ersten Schock überwunden hat, dann werden sie sagen: ‚Ach, so schlecht ist Leona gar nicht. Sie kleidet sich elegant, kann sich benehmen. Außerdem ist sie eine von uns.‘ Mich erschreckt das alles, Boyd!“
„Ist das ein Wunder?“ Er griff noch einmal ihre Hand.
„Es wird nicht gut gehen.“ Leona dachte an Ruperts zorniges Gesicht. Er war kein Mann, mit dem man sich anlegen sollte.
„Mein Vater wird mich deswegen nicht bekämpfen“, sagt Boyd mit unerschütterlicher Selbstsicherheit. Und wenn doch, wird er zum ersten Mal der Verlierer sein.“
„Zum zweiten Mal“, erinnerte sie ihn. „Bei Mum hatte er auch verloren.“
„Vergiss das. Es war nicht mehr als ein unerfüllbarer Traum. Was zählt, ist das Heute. Ich werde dich nicht aufgeben. Für kein Geld der Welt.“ Boyd stand auf. „Und nun genug davon, wir müssen unbedingt etwas essen. Du siehst wunderbar aus, wie immer … nur etwas blass. Ich ziehe
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