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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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die Leviten zu lesen.«
    »Tu beides«, sagte er, nahm sie in die Arme und küsste sie. Den ersten Kuss hatte sie ihm abgetrotzt, als sie vierzehn Jahre alt gewesen war. Sie hatte ihn sich gestohlen, weil sie seinen Mund immerfort hatte anstarren müssen und um jeden Preis wissen wollte, wie er schmeckte. Solange sie lebte, würde sie sich nie an ihm sattschmecken. Er küsste noch immer mit einem verhaltenen Feuer, das ausstehende Wunder versprach, und mit einer stolzen, sich zügelnden Scheu. Und noch immer fand sie es seltsam falsch, dass er etliche Orden bekommen hatte, weil er Brücken sprengen und feindliche Linien durchbrechen konnte, aber keinen, weil er hinreißend küsste.
    »Jetzt bin ich dagegen gewappnet«, sagte er und ließ sie mit Sehnsucht in den Augen los. »Lies mir die Leviten, Liebste, aber bitte lies schnell und sei nicht ganz so streng.«
    »Ich habe keinen Grund dazu, oder? Du kannst nichts dafür, dass du mich ein Dreivierteljahr lang mit dem gesamten Schlamassel alleingelassen hast. Und erst recht nichts dafür, dass von dem kleinen Rest Zeit, der uns miteinander noch bleibt, ein ganzer Sommer und ein Herbst verloren sind.«
    »Doch«, sagte er, »ich kann etwas dafür. Ich hätte mich gegen Miguel und die Entwässerung der Slums und für dich und meine Familie entscheiden müssen, wie ich es dir versprochen habe, damit du mich heiratest.«
    Sie hatte nichts anderes erwartet, denn feige war er nie gewesen. »Ja, das hast du mir versprochen. Und ich habe dir gesagt, ich ertrage es nicht, wenn du das Versprechen brichst – wenn noch einmal einem Mann sein Kaiser, sein Juárez oder meinetwegen sein Porfirio Diaz wichtiger ist als seine Frau und sein Kind. Es hat weh getan. Es hat sich angefühlt, als hätte ich für dich auf einmal an Wert verloren, und das ist kein gutes Gefühl für eine Frau, die mit keiner jugendlichen Schönheit mehr auftrumpfen kann.«
    Er stöhnte auf. »Wie kannst du denn so denken?«
    »Weißt du wirklich nicht, wie ich das kann?«
    »Doch.« Er senkte den Kopf, jeder Zoll seiner Haltung spiegelte Schmerz und Scham. »Ich messe die Schönheit der Welt an dir, Katharina. In fünfundvierzig Jahren habe ich nichts gefunden, das dir das Wasser reicht. Ich habe mein Versprechen gebrochen, und ich werde es weiter tun, weil ich keinen anderen Weg weiß. Wenn du mir deshalb nicht mehr glaubst, habe ich es nicht besser verdient. Aber du hast nicht verdient, dass du deshalb an dir zweifelst.«
    Es war genug. Sie hatte ihm ein wenig weh tun wollen, nicht weil er es verdiente, sondern um den eigentümlichen Groll in sich zu löschen. Von dem Groll war keine Spur mehr übrig. Sie legte ihm die Hand in den Nacken und schob die Finger unter den Hemdkragen. »Willst du Buße tun, Liebling?«
    Er blickte auf. »Wenn ich kann.«
    Sie strich ihm alles Haar von den Schläfen und küsste die schmalen Adern, in denen sein Blut klopfte. »Du wirst deine alte Frau lieben müssen, als wären wir höchstens fünfundzwanzig. Ist das zu anstrengend für dich?«
    Sein Lachen war erlöst und dunkel und ein bisschen unverschämt. »Für was hältst du mich? Für einen Greis?« Er sprang blitzschnell auf, umschlang sie und hob sie in die Höhe. Auf der Chaiselongue legte er sie nieder, beugte sich über sie und küsste sie.
    »Komm ins Bett, Liebster«, lockte sie.
    »Bis ins Bett hätte ich es mit fünfundzwanzig niemals geschafft«, erwiderte er ungerührt und zog die Schleife an ihrem Kragen auf, um ihren Hals zu küssen.
    »Und wenn jemand hereinkommt?«
    »Daran hätte ich mit fünfundzwanzig nicht gedacht.« Er schob den Stoff ihrer Bluse zur Seite und küsste den Ansatz ihrer Brüste.
    »Aber diese Korbmöbel drücken im Rücken.«
    »Mit fünfundzwanzig waren wir hart wie Stahl.«
    »Na schön, dann liegst du eben unten.«
    »Aber mit fünfundzwanzig …«
    Glücklich auflachend gab sie ihm einen Klaps und drehte sich mit ihm um. Er liebte sie so, wie er sie küsste, voll verhaltenem Feuer, das nur einen Höhepunkt lang ganz aus sich herausbrach und alles in ihr zum Singen brachte. Dass sie einander so lieben konnten, war ihr schönstes Geheimnis, ihr Wunder und ihr Lebenselixier, und sie hatten es immer gehabt, vom ersten Tag an. Als er sich schließlich doch von ihr zum Umzug ins Bett überreden ließ, hatte sich das Muster der Korbliege tief in seinen Rücken eingegraben.
    Sie liebten sich noch einmal in den Kissen, dann meinte sie: »Bist du zu müde, oder können wir noch reden?«, und

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