Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
er holte ihnen einen Krug Wein. »Wie geht es Miguel?«, fragte sie, weil es ein wenig leichter war, als zu fragen, wie es Josefa ging.
»Nicht gut«, antwortete er.
»Du hast ihm das von den Kindern erzählt, nicht wahr?«
»Mir blieb keine Wahl. Ich kann einem Mann nicht verschweigen, dass seine Kinder gestorben sind.«
»Was hat er gesagt?«
Benito schüttelte den Kopf. »Bitte frag mich nicht. Es käme mir nicht recht vor, davon zu sprechen.«
»Nein, natürlich nicht. Ich mache mir nur solche Sorgen um Abelinda. Ich würde ihr gern irgendetwas sagen, um ihr ein wenig Mut zu machen. Besteht denn keine Hoffnung, dass er bald frei und nach Hause kommt?«
»Hoffnung besteht durchaus«, erwiderte Benito. »Es hängt ganz davon ab, wie Porfirio gelaunt ist. In einem Augenblick verkündet er, er werde zu Weihnachten eine Amnestie erlassen, denn jetzt, da die Zeitungen auf Linie gebracht seien und der Geist des Pinsels nicht länger sein Unwesen treibe, könne er ja Gnade vor Recht ergehen lassen, und eine Stunde später wirft er mir knapp hin, Jaime Sanchez Torrija werde demnächst seine Ländereien in Yucatán inspizieren und alle politischen Häftlinge für den Arbeitsdienst mitnehmen. Er hat zumindest versprochen, Miguel nichts anzutun, bis ich zurück bin, aber sicher sein kann man sich bei ihm nie.«
»Er demütigt dich, nicht wahr?« Katharina strich ihm über die Schulter, über die tiefe Narbe, die sich bis auf sein Schlüsselbein zog. »Er weiß, was Miguel dir bedeutet, und vermutlich weiß er auch, dass dich der Tod deines Bruders bis heute verfolgt. Er treibt dieses Spiel mit Miguel und deinen Schuldgefühlen, um dich dafür zu bestrafen, dass du ihm in allem überlegen bist.«
Benitos Muskel spannte sich unter ihrer Liebkosung. »Mir tut er doch nichts«, sagte er gepresst. »Er wirft mich in keine Gefängniszelle, lässt mich weder hungern noch frieren, verpasst mir keine Prügel und bedroht mich nicht mit dem sicheren Tod. Es ist Miguel, der darunter leiden muss, dass zwei alte Männer ihre längst verjährten Händel ausfechten. Miguel, Carmens Sohn, der mit Anfang dreißig aussieht wie ein steinalter Mann, dem beim Sprechen die Zähne klappern und in jeder Bewegung die Glieder zittern.«
Die Qual in seiner Stimme schnitt ihr ins Herz. »Aber dafür kannst du doch nichts!«, rief sie kämpferisch. »Du bist daran genauso wenig schuld wie daran, dass dein Bruder sich so verzweifelt wünschte, ein Held zu sein.«
»Hätte ich ihm nicht beibringen können, dass er einer war?« Die Traurigkeit in seinen Augen würde nie ganz verlöschen, und auch dafür liebte sie ihn. »Und hätte ich nicht Miguel beibringen können, dass man seinen Kopf in keine Schlinge hängen muss, um seine Gesinnung zu beweisen? Außerdem ist es doch sein Zorn auf mich, den Porfirio an Miguel auslässt. Deshalb erlaubt er mir ja auch ständig, ihn in Belem zu besuchen – damit mir von dem, was er Miguel antut, nichts entgeht. Überlegen bin ich ihm übrigens ganz und gar nicht. Er ist ein politisches Genie, und diesen Thron der absoluten Macht, von dem er träumt, den wird er sich zu Ende bauen. Wir anderen sind kleine Lichter dagegen, die höchstens versuchen können, ihm ein paar Tropfen auf heiße Steine abzuschwatzen.«
Sein Gewissen war immer gnadenlos gewesen. Und Katharina hatte nie ertragen, wenn es ihm derart brutale Schläge versetzte. Seinen Bruder hatte er nicht beschützen können und auch nicht das leichtsinnige Mädchen, das der Bruder ihm anvertraut hatte. Wie sollte er es aushalten, seinen Patensohn in solcher Lage allein zu lassen? »Ist es hart für dich, hier zu sein, Benito?«, fragte sie sacht. »Glaubst du, du lässt Miguel im Stich und hast kein Recht, in meinen Armen zu liegen und dir den Nacken, der dir weh tut, streicheln zu lassen?«
Wie sie es von ihm kannte, senkte er den Kopf und schwieg.
Sie zog seinen Kopf an ihre Brust. »Sei ein unerschrockener Aztekenkrieger und liebe mich die ganze Nacht«, sagte sie. »Sprich auch mit mir, weil ich so viel auf dem Herzen habe, das ich nur mit dir teilen kann. Und dann nimm morgen früh deine Tasche und fahr zurück nach Mexiko-Stadt.«
Vor Unglauben fuhr er in ihren Armen zusammen.
»Ich liebe dich, weil du noch immer mein Mann bist, den ich so sehr vermisse, dass ich ihn schallend ohrfeigen möchte, wenn er mir einfach keine Briefe schreibt. Und ebenso weil du noch immer der Mann bist, den sein Gewissen zwingt, mir dieses Mal sein Versprechen zu
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