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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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sagen?«
    Er biss sich hart auf die Lippe. »Auch nichts«, sagte er dann. »Nur dass ich nicht weiß, ob Miguel, falls er freigelassen wird, gleich nach Hause kommt. Versprich Abelinda nichts. Vielleicht will er noch bleiben und seine Angelegenheiten regeln.«
    »Wegen seiner Zeitung, meinst du? Aber um alles in der Welt, seine Frau braucht ihn doch jetzt viel mehr. Sie glaubt, sie hat seine Liebe verloren, weil sie keine Kinder bekommen kann, Benito.«
    Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es doch auch nicht.«
    Sie ließ ihn ziehen, weil er ja schließlich nicht an allem und jedem etwas ändern konnte. Doch während sie ihm den Hang hinauf hinterhersah, wurde sie das Gefühl nicht los, dass das, was er ihr hatte sagen wollen, mit Miguel viel weniger zu tun hatte als mit ihm selbst.

20
    B ei Onkel Stefan entschuldigte sie sich, sie habe über eine Menge Dinge nachzudenken und wolle Weihnachten allein verbringen. Wäre Felice nicht gewesen, von der sie sich ständig bespitzelt fühlte, hätte sie gar nichts gesagt und wäre der Feier einfach ferngeblieben.
    Zu Jaime sagte sie: »Mein Vater ist abgereist. Ich bin nicht mitgefahren und habe niemanden, um Weihnachten zu feiern. Nur Sie.«
    »Und wer sagt Ihnen, dass ich mit Ihnen Weihnachten feiern will?«
    »Niemand«, erwiderte Josefa. »Wenn Sie es nicht tun, muss ich alleine bleiben.«
    »Arme Josefa Alvarez. Halten Sie das wahrhaftig durch? Laufen Sie nicht im letzten Augenblick zu den Eltern des klecksenden Verehrers, um an einer heidnischen Opferfeier auf dem Dach teilzunehmen?«
    Tatsächlich hatten Martina und Felix, die Tomás vermissten, sie eingeladen, aber Josefa hatte abgelehnt. Sie schüttelte den Kopf. »Ich will bei Ihnen sein oder allein.«
    »Nun, dann werden Sie wohl allein bleiben müssen«, erklärte er. »Schließlich haben Sie eine Strafe dafür verdient, dass Sie mich wochenlang wie einen Aussätzigen geschnitten haben, finden Sie nicht auch?«
    Sie konnte nur nicken.
    »Halten Sie tapfer durch«, sagte er und hauchte einen Kuss auf ihren Handrücken, »dann habe ich womöglich nach Weihnachten eine Überraschung für Sie.«
    Josefa hielt durch, auch wenn die Weihnacht eine Folter war, und sie bekam ihre Überraschung dafür. Am Morgen nach dem Weihnachtstag erhielt sie eine Schachtel in dem goldroten Muster von La Esmeralda, dem berühmten Juwelierhaus in der Calle Plateros. In der Schachtel lag ein Collier aus verschlungenen Weißgoldranken, eine herrliche Goldschmiedearbeit, an der Tropfen aus tiefgrüner Jade hingen. Das Schmuckstück war von so ungewöhnlicher, berührender Schönheit, dass Josefa den Atem anhielt. Ihr war gleichgültig, was irgendwer über Jaime Sanchez Torrija redete. Wenn sie noch einen Beweis dafür brauchte, dass in ihm ein einzigartiger, gefühlvoller Mensch steckte, dann hielt sie ihn hier in den Händen. Sie würde das Collier immer tragen, es auf der Haut spüren wie die Erinnerung an seine Hände.
    Auf dem beigefügten Billett stand, er werde sie um sieben Uhr abholen. »In Abendgarderobe. Kein Rot, keine befremdlichen Schlammfarben und kein Blau. J. S. T.«
    Ihr grünes Seerosenkleid war verdorben, und ein blasseres, das sie sich selbst gekauft hatte, erschien ihr zu schlicht. Es harmonierte jedoch wunderbar mit dem dunkleren Ton der Jade, und es würde genügen müssen, ebenso wie ihre selbstgesteckte Frisur. Am Tag nach Weihnachten blieben sämtliche Läden geschlossen, und sie hatte niemanden mehr, den sie um Hilfe bitten konnte, keine Martina und nicht einmal Felice, die bis Neujahr in der Calle Caldena blieb.
    Er ging mit ihr ins Teatro Nacional, führte die kleine Provinzlerin unter die prachtvollen Roben, die hochgetürmten Frisuren, das Kristall der Kronleuchter und das Samtrot und Gold der Logen in Mexikos formidabelstem Theater. Gespielt wurde eine italienische Oper, La Traviata, und auf den Gängen flog der Name der europäischen Sopranistin – Adelina Patti – wie ein Raunen von Mund zu Mund. »Man muss sie in seinem Leben gehört haben«, sagte eine der königlich herausstaffierten Damen zur anderen. »Für jeden, der nur einmal mit ihr gestorben ist, verliert der eigene Tod seinen Schrecken.«
    Josefa konnte sich nicht erinnern, je eine Oper gehört zu haben, und wusste nicht, ob sie es mochte. Aber allein mit Jaime in einer Loge zu sitzen, in der sechs Menschen Platz gefunden hätten, mochte sie so sehr, dass ihr die Aufführung einerlei war. »Werden die anderen Besucher noch

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