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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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und ich werde dir bestimmt keine Prügel androhen und dich noch weniger an den Haaren schleifen. Dass ich allerdings nicht hingehe und den verfluchten Sanchez Torrija erwürge, das verspreche ich dir nicht.«

24
    D as Haus in der Callejón de la Condesa war Benitos Lieblingshaus in ganz Mexiko-Stadt. Es hatte nichts Protziges, nichts Überladenes, und es gab nicht vor, etwas zu sein, was es nicht war. Zwischen den übrigen Häusern, die sich gegenseitig an Größe und Zierrat zu übertrumpfen suchten, stand es gelassen an seiner Straßenecke und war nichts als schön. Es besaß nur zwei Stockwerke und hieß Casa de los Azulejos, Haus der Kacheln, denn seine gesamte Fassade war mit blau-weißen Kacheln aus Puebla bedeckt. Manchmal wünschte sich Benito, Mexikos Schönheit könnte etwas mehr von diesem Haus besitzen – mehr still lächelnde Zufriedenheit mit sich selbst. An diesem Abend aber wünschte er sich nur, er müsse sein zerstörerisches Anliegen nicht in den Frieden dieses Hauses tragen.
    Der Hausdiener bat ihn in die Sala, aber Benito gab ihm seine Karte und erklärte, er wolle lieber draußen warten. Der Diener verschwand, und Benito vernahm sein Herz. Er verachtete sich. In der Wohnung in Guerrero, die er gemietet hatte, hatte Dolores ihm die Hände auf die Schultern gelegt und gesagt: »Dass du das auf dich nimmst, ist zu viel, um auch nur danke zu sagen. Das ist das einzig Beruhigende in diesem Wahn – dass ich tatsächlich einem Mann begegnet bin, der Mut besitzt.«
    Würdest du jetzt erleben, wie der Mann, der angeblich Mut besitzt, sich fast die Hosen nass macht, würde dich nichts mehr beruhigen, dachte er.
    Von drinnen ertönte ein Poltern, dann wurde die angelehnte Tür erneut aufgezogen, und Teofilo de Vivero stand vor ihm. Benito hatte erwartet, zunächst den Hausdiener wiederzusehen, und musste sich zwingen, keinen Schritt zurückzuweichen. Der Conde war grau im Gesicht, als wäre er todkrank. Ich bin der Letzte auf der Welt, dem du das glaubst, dachte Benito, aber wenn ein Mann weiß, wie es in dir aussieht, dann ich, denn in mir sieht es nicht anders aus.
    »Meine Tochter ist verschwunden«, stieß der Conde heraus.
    »Es geht ihr gut«, sagte Benito. Das war das Wichtigste. Die Last, die dem Conde von der Seele fiel, war beinahe spürbar.
    Mit der Erleichterung kam der Zorn. »Wo ist sie?«, schrie der Conde, packte Benito bei den Armen und begann ihn mit der Wucht seiner Verzweiflung zu schütteln. »Wo ist meine Dolores, will ich wissen, wo ist mein Kind?«
    Einst hatte Benito sich geschworen, sich im Leben nie wieder gegen seinen Willen antasten, sich von keinem Menschen mehr schlagen, beuteln, stoßen oder treten zu lassen. Jahre hatte er darauf verwandt, sich im Ringen und im Faustkampf zu üben, fechten und schießen zu lernen, um keine Misshandlung mehr einzustecken, ohne sich zu wehren. Jetzt hing er widerstandslos in den Händen des Conde, ließ sich von ihm schütteln, dass er Mühe hatte, den Kopf stillzuhalten, und nahm mehrere Faustschläge gegen Brust und Schultern hin, ehe dem anderen die Kräfte erlahmten und er die Hände sinken ließ.
    »Dolores ist in einer Wohnung in Guerrero«, sagte er.
    »In einem Slum?«
    »Guerrero ist kein Slum, sondern ein Handwerkerviertel. Es ist trocken dort, die Wohnung ist sauber, und Dolores hat sie sich selbst ausgesucht. Sie braucht eine Zeitlang Ruhe, Don Teofilo. Sie möchte, dass wir beide das Gerücht streuen, sie sei zu meiner Familie nach Querétaro gefahren, um sich dort zu erholen.«
    »Zu Ihrer Familie«, wiederholte der Conde, ohne den Sinn der drei Wörter zu erfassen. Dann schrie er wiederum los: »Sind Sie jetzt völlig verrückt geworden? Was erzählen Sie mir hier eigentlich?«
    »Ich möchte Sie nicht bitten, mich in Ihr Haus zu lassen«, sagte Benito. »Könnten wir dennoch irgendwo hingehen, wo uns nicht jeder auf der Straße hört?«
    »Wohin denn vielleicht? In den Stall?«
    »Ich wäre Ihnen dankbar.«
    Durch die weite, von zwei Galerien umrundete Sala des Hauses gingen sie in den blühenden Hof und von dort in den Stall, in dem die Kutschpferde des Conde standen. Der Geruch nach Heu und die dampfende Wärme von Pferdeleibern hatten Benito sein Leben lang beruhigt. Er war auch in dem Pferdestall, in dem er als Sechsjähriger zu arbeiten begonnen hatte, gedemütigt und mit dem Steigbügelriemen verprügelt worden, aber er hatte sich dabei nie von aller Welt verlassen gefühlt. Am liebsten hätte er sich auf einen der

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