Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
geschnürten Strohballen gesetzt, wie er es Hunderte von Malen mit Katharina getan hatte. Stattdessen blieben sie stehen.
»Sprechen Sie«, forderte der Conde ihn auf. »Hören Sie endlich auf, mich mit Ihrem Schweigen zu foltern.«
Wie konnte man aufhören einen Mann zu foltern, wenn man ihm stattdessen einen Todesstoß versetzen musste? »Ihre Tochter bekommt ein Kind«, sagte Benito. Er senkte den Blick und starrte auf die verstreuten Halme am Boden, um nicht noch dabei zuzusehen, wie dem anderen seine schöne blau-weiß gekachelte Welt zerbrach.
»Meine Dolores«, stammelte der Conde stimmlos. »Meine Dolorita, lindissima chica, mein winziges Liebchen – bekommt von Ihnen ein Kind?«
Benito schluckte. Seine Kehle war trocken wie Sandpapier. »Ja«, sagte er. Noch immer starrte er auf den Boden und wünschte, er hätte sich auch die Ohren zuhalten dürfen. Er hatte kein Recht, das Luftschnappen, Stöhnen und endlich das trockene Aufschluchzen anzuhören, mit dem der andere um den letzten Rest seiner Haltung kämpfte.
»Sieh mich an«, schrie der Conde endlich. Von Achtung und Ehrerbietung war keine Spur mehr übrig. »Du verdammter geiler Indio-Köter, sieh mich wenigstens an.«
Benito hob den Kopf. Der Conde holte weit hinter sich aus, legte sein Gewicht in den Arm und schlug ihm über die Wange. Für Augenblicke sah Benito nichts als Funken und Schwärze, und Schmerz und Schwindel übermannten ihn. Mit äußerster Beherrschung zwang er sich zu Sinnen zu kommen und so lange geradeaus zu starren, bis er wieder halbwegs klar sehen konnte. Als er Blut schmeckte, wischte er es sich von den Lippen. Dann schüttelte er den Kopf und sagte: »Nein.«
»Was soll das heißen, nein?«, schrie der Conde.
»Ich nehme Ihre Forderung nicht an«, erwiderte Benito.
»Das ist nicht dein Ernst, du Dreck!« Der Conde holte von neuem aus. »Nicht einmal Verbrecherbrut ohne Erziehung kann so ehrlos sein.«
Benito hob die Hände. »Einen Augenblick. Wenn es Ihnen hilft, dann schlagen Sie mich. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ich es mir lange gefallen lasse, doch eine Weile versuche ich mein Bestes. Ihre Forderung aber nehme ich trotzdem nicht an, Señor Conde.« Er griff in seinen Bund und förderte die Perkussionspistole zutage, die er seit dem ersten Krieg besaß und seit dem Ende des zweiten nicht mehr benötigt hatte. Auf der flachen Hand hielt er sie dem anderen hin. »Was immer Sie tun, Sie werden mich nicht dazu bringen, auf Sie zu schießen. Wenn Sie selbst hingegen bereit sind, eine Waffe auf einen wehrlosen Mann abzufeuern, brauchen wir dazu auf keinen Campo de Honor zu gehen. Sie können es hier und jetzt tun.«
»Und mich zum Mörder machen?« Der Conde nahm die Pistole und betrachtete sie.
»Da Sie meine Waffe benutzen, wird es aussehen, als hätten Sie sich Ihrer Haut gewehrt. Außerdem wird jeder Verständnis dafür zeigen, dass Sie den Indio-Köter, der Ihre Tochter geschändet hat, über den Haufen geschossen haben. Es wird kein Aufhebens geben.«
Der Conde drehte die Pistole in den Händen. Dann brachte er sich und die Waffe in Stellung, und mit einem Klicklaut entsicherte er sie. Um nicht vor Angst den Verstand zu verlieren, versuchte Benito einen Herzschlag lang sich vorzustellen, er wäre an der Stelle des anderen und vor ihm stünde Jaime Sanchez Torrija. Ich würde nicht schießen, hallte es in seinem Kopf. Ich würde mit bloßen Fäusten auf ihn einschlagen, aber nicht auf einen Mann ohne Waffe schießen.
Der Conde ließ die Pistole sinken. »Warum?«, flüsterte er. »Warum?«
»Ich gebe Ihnen darauf keine Antwort. Es klingt alles nach Ausflucht und schal.«
»Was soll denn aus meiner Dolores werden?« Der Conde weinte. »Sie hatte doch alles, und was hat sie jetzt noch? Weniger als nichts.«
»Dolores ist so stark, wie sie klug ist«, sagte Benito. »Sie wird haben, was immer sie entscheidet, wenn das Kind erst geboren ist. Solange wir beide uns verhalten, als gäben wir nichts auf das Gerede und hätten keinen Grund zur Sorge, kann Gras darüber wachsen, und Dolores kehrt in die Gesellschaft zurück. Ihr Ruf wird nicht mehr fleckenlos sein, aber einer Frau von derart exquisiter Herkunft wird man verzeihen. Und eine Frau, die über so viel Schönheit, so viel Herz und eine so hohe Mitgift verfügt, wird dennoch heiraten können, wen sie will.«
»Und das Kind?«
»Ich könnte es zu meiner Familie nach Querétaro bringen und dort aufziehen. Es ist ein Haus voller Indio-Köter, aber
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