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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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kurzes Telegramm. Wenn du willst, schick es an Martinas Adresse, aber lass sie nicht ohne ein Zeichen von dir.« Anavera nahm ihr den Rebozo aus den Händen und strich über das ungleichmäßige Gewebe.
    »Die Mutter ist auch hier?«
    Anavera nickte. »Sie hat etwas mit Vater zu klären, sonst wäre sie augenblicklich zu dir gekommen. Dieses eine Mal braucht sie ihre Kraft für sich. Sie darf sich nicht noch um uns beide sorgen.«
    Josefa richtete sich auf. »Mein Vater ist er nicht«, stieß sie heraus. »Und damit du es weißt, er hat eine junge Geliebte, eine weiße Grafentochter. Während er mir erzählt hat, er kämpfe um Miguel und um die Entwässerung der Slums, lag er mit dieser Frau in ihrem verlotterten Bett.«
    »Das kannst du doch nicht glauben, Jo.« Die Verachtung in Josefas Stimme erschreckte Anavera mehr als die Worte.
    »Und warum nicht? Weil dein verdammter Vater ein Heiliger ist?«
    »Nein, natürlich nicht, aber …«
    »Frag, wen du willst. Jeder weiß es.«
    »Ich frage ihn«, erwiderte Anavera mühsam beherrscht. »Aber nicht jetzt.«
    So gut sie konnte, versorgte sie Josefa mit den nötigsten Lebensmitteln, umarmte sie zum Abschied und versprach ihr noch einmal, ihr den Mann, den sie bis zum Wahnsinn liebte, zurückzubringen. Von ihrer eigenen Sorge – Tomás’ Verhaftung – sagte sie ihr nichts.
    Während sie mit einem Mietwagen zu der Wohnung am Paseo de la Reforma fuhr, fragte sie sich, wie sie Josefa ein derart leichtsinniges Versprechen hatte geben können. Aber sie hatte es gegeben. Sie musste es einlösen. Wenn dieser Unmensch für sein Kind nicht aufkommen wollte, dann sollte er es ihrer Familie sagen und die Konsequenzen tragen. Ihre Schwester war kein billiges Flittchen, das jemand wegwerfen durfte wie eine aufgerauchte Zigarettenkippe.
    Sie hatte Glück und traf Fernando Sentiera noch an. »Wäre ich jünger, hätte ich fast zu hoffen gewagt, Sie kämen um meinetwillen, nicht des schönen Andalusiers wegen«, sagte er.
    »Warum denn das?«, fragte Anavera erstaunt.
    »Sie sind schön«, erwiderte er schlicht. »Wenn Ihnen das noch niemand gesagt hat, wird es Zeit. Und Ihre Familie sollte besser auf Sie aufpassen und Sie nicht allein in der Dämmerung herumlaufen lassen. Soll ich Sie nach Hause bringen?«
    »Sie müssen mir helfen«, beschwor ihn Anavera. »Ich muss um jeden Preis Señor Sanchez Torrija sprechen. Ich weiß, Sie haben mir erklärt, er schätzt so etwas nicht, aber bitte sagen Sie mir trotzdem, wo ich ihn finde.«
    »Das klingt, als ginge es um Leben und Tod.«
    »Darum geht es«, erwiderte Anavera.
    »Ich würde Ihnen sehr gern helfen«, sagte Sentiera mit ehrlichem Bedauern, »aber ich fürchte, Sie kommen zu spät. Señor Sanchez Torrija nimmt heute Abend den Zug und reist auf seine Plantagen nach Yucatán. Sie wissen, was dort los ist, nicht wahr?«
    »Kaum«, gab Anavera zu.
    »Der Krieg der Kasten ist noch lange nicht zu Ende«, erklärte ihr Sentiera. »Und der Staat der Maya-Rebellen mit ihren sprechenden Kreuzen macht Schule. Im Grenzland gibt es etliche Dörfer, die sich ebenfalls als freie Maya-Siedlungen betrachten und die weißen Herren mit aller Erbitterung bekämpfen. Es kommt zu Überfällen und Verschleppungen, und gemunkelt wird von Versklavung und Menschenopfern. Ich wäre selbst um ein Haar das Opfer eines solchen zornentbrannten Rebellentrupps geworden und ginge nicht für alles Gold der Welt noch einmal dorthin zurück. Aber für Señor Sanchez Torrija macht genau das den Reiz aus. Das Einzige, was diesen Mann halbwegs bei Verstand hält, ist ständige Herausforderung.«
    Anavera hatte Schwierigkeiten, richtig zuzuhören. Durch ihren Kopf hallte das Wort Yucatán, und mit Schrecken fiel ihr ein, was Martinas hagerer Bekannter gesagt hatte. Mindestens sechs Wochen lang würde Sanchez Torrijas Sohn von der geheimnisvollen, kaum erschlossenen Halbinsel nicht zurückkommen. »Er darf nicht abreisen!«, rief sie jäh. »Bitte, Señor, könnten Sie mich zum Bahnhof fahren? Ich weiß, ich benehme mich fürchterlich, aber irgendwann werde ich einen Weg finden, mich bei Ihnen zu bedanken.«
    »Sie benehmen sich ziemlich reizend«, erwiderte Sentiera. »Und das ist Ihr Glück, denn ansonsten würde ich Ihnen diese aberwitzige Bitte abschlagen.«
    So war sie auf den Bahnhof gelangt. Beim Anblick der wogenden Menschenmassen sank ihr der Mut. Wie sollte sie hier einen Einzelnen ausfindig machen, den sie zu allem Unglück nie zuvor gesehen hatte? Es

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