Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
heilten.
Es machte stark, so geliebt zu werden. Es erfüllte mit Zuversicht und einem tiefen Vertrauen ins Leben – und mit einer Freude am eigenen Körper, die noch anhielt, wenn der jugendliche Glanz und die Spannkraft verlorengingen.
Verdammt, Benito, dachte sie, weißt du wirklich nicht, wie kostbar und selten es ist, zwanzig Jahre lang miteinander glücklich zu sein? Sie hatten Kinder bekommen, waren ständig von Menschen umgeben und hatten doch nie aufgehört, ein Paar von Verschwörern zu sein, die eine entlegene Insel und ein zärtliches Geheimnis teilten. Den Zauber und das Lachen der Nacht! Wie konnte ein Mann fähig sein, das wegzuwerfen? Nicht irgendein Mann, sondern der eine, den sie bis in sein Innerstes zu kennen glaubte.
Sie hatte seine Integrität gekannt, sein Gewissen, das ihm nicht die kleinste Verfehlung durchgehen ließ und manchmal so gnadenlos auf ihn einschlug, dass sie ihn vor sich selbst in Schutz nehmen musste. Und derselbe Mann hatte die Frau, die ihm vertraute, bald ein Jahr lang feige und hinterhältig belogen? Die Nacht vor Weihnachten fiel ihr ein, ihre innige Nähe, seine Verzweiflung über Miguels Schicksal und ihr Versuch, ihm Mut zuzusprechen. Sein Körper unter ihrem, auf der Korbliege in der Sala, seine Schultern, Hüften, seine langen Beine, die sich um sie schlangen, seine wendige Schönheit, nach der sie noch immer verrückt war. Ihr Blick fiel auf ihre Hände, auf Runzeln, Furchen und dunkle Flecken. Alt, dachte sie, nicht mehr gewollt, beiseitegeworfen, obgleich die Spuren, die die Jahre hinterlassen hatten, Spuren ihres gemeinsamen Lebens waren.
Felix hatte unrecht, es war kein Kavaliersdelikt, den Menschen, dessen leuchtende Jahre man geteilt hatte, zu ersetzen, sobald das Licht schwächer und die Tage kürzer wurden. Es machte kein Schwein aus Benito, denn sie war keine Frau, die ihr Leben lang ein Schwein geliebt hatte. Aber die Tat war schweinisch. Sie mochte ihre Liebe zu ihm nicht zerstören, doch wie war es um ihre Achtung bestellt? Und wie um ihr Glück? Sie musste sich Einhalt gebieten, um nicht tränenblind stehen zu bleiben, sondern weiterzugehen.
Wer das Mädchen war, war nicht schwer herauszufinden, und es versetzte ihr einen zusätzlichen Stich. Sie kannte Don Teofilo seit Jahren. Er gehörte zu den Männern, die Porfirio Diaz unterstützt hatten, als er noch als Speerspitze der liberalen Bewegung galt und für Freiheit, Fortschritt und Verfassungstreue eintrat. Er hatte auch Benito unterstützt und in ihm nur den hochtalentierten politischen Denker gesehen, nie den Sohn eines erschossenen Verbrechers, der einem erniedrigten Volk entstammte. Benito hatte nicht nur Katharina betrogen, sondern auch diesen Mann, einen Vater wie ihn selbst, der ihm nie anders als voll Respekt begegnet war.
Dass sie ihn aufsuchte, mochte ihn noch tiefer demütigen, aber nachdem sie eine Nacht lang vergeblich in Benitos Wohnung gewartet hatte und einen Tag lang ziellos in der Stadt herumgeirrt war, fiel ihr nichts anderes mehr ein. Der Conde bat sie ohne Federlesens in sein Haus, seine so verwunschen wirkende Casa de los Azulejos, und sagte: »Ich hatte gehofft, Sie würden sich an mich wenden.«
»Ich will offen sein«, sagte Katharina. »Zu allem anderen fehlt mir die Kraft. Ich komme, weil ich meinen Mann suche. Und weil ich wissen muss, ob es wahr ist.«
Der Conde nickte. Er konnte nicht mehr als zehn Jahre älter sein als sie und Benito, sah aber aus wie ein Hundertjähriger. »Darf ich Ihnen etwas sagen, Señora?«
»Natürlich.«
»Ich bilde mir ein zu wissen, wie Sie sich fühlen, denn ich habe mich ähnlich gefühlt. Ich habe geglaubt, ich könnte es nicht überleben. Aber ich habe es überlebt. Ich habe nicht gedacht, dass ich mich das einmal würde aussprechen hören, doch es ist die Wahrheit: Ich bin froh, Ihren Mann nicht erschossen zu haben. Was er getan hat, wiegt schwer, und ob ich ihm je verzeihen kann, weiß ich nicht. Ich muss ihm aber zugutehalten, dass er tut, was er versprochen hat – nicht feige flüchten, sondern so gut wie möglich für seine Tat einstehen. Und darf ich Ihnen noch etwas sagen, auch wenn es verrückt klingt? Die Folgen von alledem sind auf einmal nicht halb so schlimm, wie ich sie mir ausgemalt habe. Sie bedeuten nicht, dass das Leben nicht weitergehen kann. Das hilft Ihnen nicht, habe ich recht?«
Trotz allem musste Katharina lächeln. »Ich bin noch nicht so weit wie Sie. Aber doch, zu wissen, dass man irgendwie damit leben
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