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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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gealterte Frau sah sie an.
    Im Treppenhaus war es wie üblich fast dunkel. Deshalb erkannte sie die Gestalt, die ihr entgegenkam, erst, als sie fast vor ihr stand und ihren Namen rief. »Doña Josefa? Ay Dios mio, ist Ihnen nicht wohl?« Sie hielt ihr den Arm hin, um sie zu stützen. Es war Dolores de Vivero. Die schöne Geliebte ihres Vaters. »Kommen Sie ins Freie«, sagte sie und drängte sie kurzerhand mit sich. »In dieser Luft würde mir auch zum Speien übel werden.«
    Tatsächlich wurde es vor der Tür ein wenig besser, ihr Kreislauf fand sein Gleichgewicht, und sie konnte wieder sicher stehen. »Was wollen Sie?«, herrschte sie die andere an, so heftig ihr bisschen Kraft es ihr erlaubte.
    »Sie besuchen. Ich habe Ihnen damals meine Karte gegeben und Sie gebeten, mich aufzusuchen, wenn Sie Hilfe brauchen. Und Sie wissen ja, wenn der Berg nicht zum Propheten kommt …«
    Sie trug ein Kleid aus grünem Samt. Grün wie Seerosenblätter. Wie dunkle Jade. Kam sie, um Josefa mitzuteilen, dass Jaime jetzt ihr Geliebter war? Sie hatte ihr den Vater genommen und nahm ihr jetzt den Liebsten, das Einzige, was ihr noch gehörte. Und das Einzige, was sie wollte.
    »Na kommen Sie, gehen wir ein Stück«, sagte Dolores de Vivera. »Ich lade Sie in ein Café ein, wenn wir irgendeines finden. Sie sehen aus, als müssten Sie dringend etwas essen, und mir ist auch flau im Magen. Was meinen Sie, was es für Mühe gekostet hat, Sie ausfindig zu machen.«
    »Ich esse nichts mit Ihnen. Und ich gehe mit Ihnen nirgendwohin.«
    »Und warum nicht? Weil ich kein braves Mädchen war und mit der Liebe nicht bis nach der Trauung gewartet habe? Sollte uns das nicht einen? Nein, ich weiß, Sie wollen mit Abschaum wie mir nichts zu tun haben, weil das Gift, das Ihnen Jaime Sanchez Torrija eingeträufelt hat, prächtig seine Wirkung tut und Ihnen versichert, ausgerechnet Ihr Vater, der Anstand in Person, betrüge Ihre Mutter mit mir.«
    »Jaime brauchte mir nichts einzuträufeln!«, schrie Josefa, der die Wangen brannten und die verhassten Tränen in die Augen schossen. »Ich habe Sie gesehen!«
    »Tatsächlich? Und was haben Sie gesehen? Einen verdammt feinen Mann, dem es zum Verhängnis wird, dass er ein bisschen mehr Gefühl hat als die, die sich unbeteiligt durch ihr Leben schlängeln. Einen Mann, der ein Mädchen in die Arme nimmt, weil es vor Verzweiflung nicht mehr ein und aus weiß und dringend eine Umarmung braucht. Ist es das, was Sie gesehen haben? Ein Mädchen, das nicht den Mut hat, den eigenen Vater um Hilfe zu bitten, und einen Mann, der sich ein bisschen wie ihr Vater fühlt? Oder eher wie ihr Schwiegervater, weil ihm sein Patensohn, den das Mädchen liebt, fast so nahesteht wie ein eigenes Kind.«
    Was erzählte ihr die Frau? Josefa glaubte kein Wort zu begreifen, weil sich alles in ihr gegen den Sinn der Worte sträubte. In Wahrheit aber hatte sie längst begriffen, und jedes Teil fügte sich ein und passte. Miguel. Ihr Vater hatte sich um diese Frau gekümmert, weil Miguel, ihr Geliebter, im Gefängnis saß, und sie, Josefa, die missratene der Töchter, hatte wieder einmal Unrecht getan. Schemenhaft blitzte die Szene in der amerikanischen Botschaft vor ihr auf. Diesmal würde über ihre Tat kein Schwamm gewischt werden. Was sie ihrem Vater zugefügt hatte, war unverzeihlich.
    Als sie schwankte, wollte sie sich fallen lassen und das ganze Elend endlich vergessen. Dolores de Vivero fing sie auf und hielt ihr eine flache, mit Samt bezogene Schachtel entgegen. »Mein Vater ist übrigens tief verletzt darüber, dass ich ihn nicht um Hilfe gebeten habe«, sagte sie. »Der Ihre schickt Ihnen das hier.«
    Josefa hielt die Schachtel umklammert, ohne sie zu öffnen. Sie konnte nicht einmal mehr weinen, schwankte noch immer und sah Dolores de Vivero nicht an. Stattdessen blickte sie an ihr vorbei und entdeckte, als hätte sie Halluzinationen, dass ein höchst denkwürdiges Gespann auf sie zugestürmt kam. Vorneweg rannte ein spindeldürres, verwahrlostes Geschöpf, dem sie erst im Näherkommen ansah, dass es weiblichen Geschlechtes war, und hinterdrein hastete eine ältere Dame, die ein festgestecktes Hütchen auf den Locken trug und über ihrem Kopf mit einem Schirm fuchtelte.
    »Lassen Sie sofort die Dame los!«, schrie das Mädchen in einem fürchterlichen Spanisch. Außer Atem blieben die beiden vor ihnen stehen. »Sie hat Ihnen doch deutlich gezeigt, dass sie mit Ihnen nichts zu tun haben will«, schimpfte das keuchende Mädchen

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