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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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weiter in dem schrecklichen Spanisch auf Dolores de Vivero ein. Es war wahrhaftig zum Gotterbarmen dürr. Aus den verschlissenen Ärmeln ihrer Bluse ragten Arme wie kahle Zweige. Die Frau hingegen war teuer, wenn auch auf völlig veraltete Weise gekleidet und ordentlich genährt. Sie war das Rennen offenbar nicht gewohnt und rang röchelnd nach Luft.
    »Könnten Sie mir bitte erklären, was Sie von uns wollen?«, fragte Dolores de Vivero.
    »Nein, kann ich nicht«, erwiderte das Mädchen keck. »Dazu muss ich erst die Gruberin fragen, denn die hat mir gesagt, was ich Ihnen zuschreien soll. Sie hatte eine Höllenangst, Sie tun ihrer Josefa was an.«
    Die Frau, auf die sie ungeniert mit dem Finger zeigte, verstand sichtlich kein Wort. Stattdessen trat sie auf Josefa zu wie auf ein Kunstwerk oder ein Naturwunder, zupfte schüchtern an ihrem Ärmel und flüsterte auf Deutsch: »Josefa. Josefa Valentina. Gelobt sei Gott, dass ich dich endlich bei mir habe.«
    »Wer sind Sie?«, stammelte Josefa und rückte unwillkürlich von der Frau, deren Finger nach ihr griffen, ab.
    »Die Gruberin«, antwortete statt ihrer das Mädchen. »Ihre Frau Tante.«
    Die Frau ließ Josefas Ärmel los, holte aus und verpasste dem dürren Mädchen eine Ohrfeige, die in Josefas Ohren wie ein Peitschenschlag hallte.

34
    G estatten, Otto Bierbrauer«, sagte der kleine Mann. »Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie belästige.« Sein Spanisch war stark akzentuiert, aber fehlerfrei.
    Anavera hatte an einem der zerbrochenen Fenster gestanden, in der Hoffnung, das bisschen Fahrtwind möge ihr Gesicht und ihr Gemüt kühlen. Aber der Zug zockelte viel zu langsam durch die unglaubliche Farbenpracht der Landschaft, um die vor Hitze wabernde Luft zu bewegen. Außerdem hätte es sowieso nichts genutzt. Nicht einmal der gefürchtete Sturmwind El Norte hätte der Glut in Anaveras Innerem Kühlung verschafft.
    Sie war aus dem Abteil geflüchtet, weil sie den Streit mit Sanchez Torrijas Sohn nicht länger ertrug. Dabei war nicht einmal das, was er aussprach, um sie zu verletzen, das Schlimmste, sondern das, was sie aussprach. Sie hatte ihn nicht noch einmal ins Gesicht geschlagen, wie sie es sich vorgenommen hatte, doch sie wünschte, sie hätte es getan. Es wäre weniger grausam, weniger tückisch gewesen als das, wozu sie sich hatte hinreißen lassen. Er hatte weiter über Josefa geredet wie über ein Flittchen, das sich ihm an den Hals geworfen hatte, und über Tomás wie über einen notorischen Verbrecher, der besser totgepeitscht als gehängt gehörte. Er hatte es sich selbst zuzuschreiben, und doch entschuldigte nichts das, was Anavera zu ihm gesagt hatte.
    »Mich wundert nicht, dass Ihr Großvater Sie einen Barbaren genannt hat«, hatte sie ihm entgegengeworfen. »Die meisten Leute bezeichnen mit diesem Wort einen Menschen, der ohne die Hemmschwellen von Kultur und Erziehung blindwütig und grausam ist.«
    Es spielte keine Rolle, dass Sanchez Torrijas Sohn es nicht besser verdiente. Was sie, Anavera, getan hatte, war unanständig und widerlich. Wenn einem ein Mensch seine verletzliche Flanke gezeigt hatte, hieb man ihm nicht mit einer Klinge hinein. Sie schämte sich. Und der Zug, der sich an Grün, Rot und Gelb in erschütternder Leuchtkraft vorbeischleppte, entfachte nicht genug Wind, um die Hitze der Scham zu kühlen.
    Und dann war der kleine Mann gekommen, hatte über beide Backen gestrahlt und ihr erklärt, er heiße Otto Bierbrauer. Er erinnerte Anavera an eine Zeichnung in einem Kinderbuch, das Onkel Stefan ihr geschenkt hatte: Wie der Schneemann in jenem Buch schien Otto Bierbrauer aus zwei Kugeln zu bestehen, eine für den Leib und eine für den Kopf, und die obere war vollkommen kahl. In der kahlen Kugel saßen quicklebendige Äuglein, die durch Brillengläser blitzten. »Sie müssen wahrhaftig üble Dinge von mir denken, weil ich Ihnen seit unserer Ankunft mit den Augen folge.«
    Anavera hatte überhaupt nichts über Otto Bierbrauer gedacht, sie hatte nicht einmal bemerkt, dass er existierte, so sehr hatte der Kampf mit Sanchez Torrijas Sohn sie vereinnahmt. Jetzt dachte sie auch nicht viel, nur: Dieser freundliche Kugelmensch hat alles mitbekommen. Er muss uns beide für Barbaren halten.
    »Bitte unterstellen Sie mir keine unlauteren Absichten«, fuhr Otto Bierbrauer fort, wobei er die dicken Händchen vor der mächtigen Leibesmitte faltete. »Auch der Herr Verlobte soll bitte keinerlei Affront vermuten. Ich betrachte Sie sozusagen aus

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