Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
tastete nach seiner Hand und konnte förmlich spüren, wie die Demütigung ihn quälte, doch zu sagen wusste sie nichts, und ihm schien es nicht anders zu gehen. In ihrem Rücken hörte sie Elena hinüber zu Acalan zischen: »Und wo war dein Mut, warum bist du Tomás gegen diesen Giftlurch nicht beigesprungen? Jetzt hättest du deine Chance gehabt, dich meiner Familie zu beweisen, aber dir ist ja das Herz in die Hose gerutscht.«
4
J aime langweilte sich. Wahrscheinlich hätten die meisten Leute behauptet, es gebe Schlimmeres als Langeweile, aber was die meisten Leute behaupteten, ließ Jaime kalt. Was konnte schlimmer sein als Zeit, die sich endlos streckte, an tödlich langweiligen Orten unter tödlich langweiligen Menschen zu verbringen? Jaime stöhnte so vernehmlich, dass seinem Gegenüber der Kopf auf dem fetten Hals zurückzuckte. »Ist Ihnen nicht wohl, Don Jaime?«
»Mir geht es bestens«, versetzte Jaime und hatte Mühe, nicht die Zähne zu blecken. Der Schwätzer, der seit einer geschlagenen Stunde damit beschäftigt war, ein Glas verdünnten Absinth zu ermorden und Jaime mit seinen Erlebnissen bei der Jagd auf Nacktaugentauben anzuöden, war Manuel Romero Rubio, Leiter des renommiertesten Clubs der Hauptstadt und Schwiegervater des Präsidenten. Dem pompösen Fettwanst ins Gesicht zu sagen, wie er ihn anwiderte, hätte Jaime zumindest zeitweise von der Langeweile erlöst, aber er besaß Hirn und Kinderstube genug, sich nicht durch Unbeherrschtheit einen Strick zu drehen.
Die meisten Menschen widerten Jaime an. Wenn er es recht überlegte, fiel ihm kaum jemand ein, der es nicht tat, und jene wenigen, die er hätte nennen können, befanden sich nicht auf dieser Seite des Ozeans.
Nicht auf dieser Seite von Leben und Tod.
Wieder nippte der Dicke mit seinem winzigen Mündchen an dem längst völlig besabberten Glas. »Don Porfirio wird womöglich gar nicht mehr herunterkommen«, mutmaßte er. »Es hat sicher länger gedauert mit diesen Eisenbahnern, und anschließend zieht es ihn dann gleich in den Club. Vielleicht sollten wir uns auf die Beine machen und ihm schon einmal voraustraben?«
»Ich denke, ich werde warten«, erwiderte Jaime nebenher und ließ den Blick durch den Saal schweifen. »Mein Anliegen bespricht sich besser hier.« Sie befanden sich in einem der Empfangsräume des Nationalpalastes, wo Präsident Diaz seine Heures vertes abhielt, die »grünen Stunden« der Wermutgetränke, wie sie in Paris beliebt waren. Mexiko ahmte blind alles nach, was in Europa als schick galt, weil es eine eigene Kultur, die diesen Namen verdiente, nicht besaß. Zur grünen Stunde konnte man sich bei laschen Cocktails zu Tode langweilen und auf den Präsidenten warten wie ein hirnloses Bauernweib auf die Wiederkehr des Erlösers.
»Sie machen mich neugierig«, behauptete Romero Rubio, dessen Neugier sich in Wahrheit einzig und allein auf seinen eigenen Nabel beschränkte. »Um was für ein Anliegen geht es denn?«
»Ich beantrage beim Präsidenten eine Genehmigung für Landkauf in Yucatán«, erwiderte Jaime. »Wir haben bereits eine Plantage dort und wünschen ihren Umfang zumindest zu verdoppeln.« Es war eine Formsache. Auch ohne Genehmigung konnte sein Vater in der Hölle von Yucatán so viel Land aufkaufen, wie es ihm beliebte – schließlich lag dem Präsidenten daran, dass das Gebiet aus den Klauen von Barbaren in zivilisierte Hände gelangte. Und Jaime wollte Yucatán. Er würde es seinem Vater abtrotzen, was für Methoden auch immer dazu nötig waren. Yucatán, das Rattennest der barbarischen Rebellen, versprach ein Kräftemessen, das ihn zumindest länger als einen einzigen Abend unterhalten würde.
»Uuh, Yucatán.« Rubio Romero ließ einen schmatzenden Laut hören. »Sie haben Courage, was? Ich nenne selbst einen hübschen Besitz dort mein Eigen, aber so, wie es da zugeht, investiere ich lieber in friedliche Gefilde. Man hätte ja ständig diesen Rebellenstaat von Wilden und Heiden zum Nachbarn, und von dort bekommt man die haarsträubendsten Dinge zu hören. Es heißt, wenn diese Menschenfresser einen weißen Herrn erwischen, klopfen sie ihm in ihren Heidentempeln den Schädel platt und opfern ihn ihren dämonischen Götzen.«
Jaime verkniff sich mit Mühe eine Entgegnung. Das abergläubische Geschwätz der Mexikaner ekelte ihn, aber ihm blieb nichts übrig, als es zu schlucken wie den miserablen Absinth. Zur grünen Stunde erschien man, um gesehen zu werden und um nichts zu versäumen. Die
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