Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
ihm, er trug den borstigen Schnurrbart inzwischen gestutzt, das weiße Haar an den Kopf gekämmt, und sein Rock war von ordentlichem Schnitt. Vor allem aber hatte er sich das Gesicht pudern lassen, um das verräterische Erbe seiner Mutter zu verbergen. Natürlich blieb sein indianischer Blutanteil sichtbar, doch er gab ein Signal in die richtige Richtung: Don Porfirios Lebensziel bestand darin, aus Mexiko einen modernen Staat nach europäischem Vorbild zu machen, und darin hatten drecksbraune Barbaren, die sich ihren Fraß mit den Fingern einstopften, keinen Platz.
Wie die Geier stürmten Männer auf den Präsidenten ein, um ihm ihre Anliegen vorzutragen. »Wie peinlich«, entfuhr es Dolores de Vivero.
Jaime musste ihr recht geben. Wenig ekelte ihn so sehr wie Menschen, die sich würdelos benahmen. Er selbst würde abwarten, bis der Präsident an ihm vorüberkam und von sich aus das Wort an ihn richtete. Anschließend wäre die streitbare Dolores gewiss nur allzu bereit, ihm an jeden Ort der Welt zu folgen.
Diaz wechselte Worte mit diesem und jenem, als stünde er unter Trinkkumpanen im verqualmten Schankraum einer Pulqueria. Die Leutseligkeit, die er gern an den Tag legte, war ein Überrest seiner niederen Herkunft. Wenn er sein Ziel erreichen wollte, würde er dieses anbiedernde Gehabe eines Bauern ablegen müssen. Jaime selbst wäre lieber gestorben, als wie ein Bettler um Gunst zu buhlen. Reglos blieb er stehen, bis der von einer Traube umringte Präsident sich ihm bis auf einen Schritt genähert hatte. Dolores de Vivero war in ihrem leuchtenden Kleid nicht zu übersehen, und Don Porfirio entdeckte sie sofort.
»Seien Sie mir willkommen, Doña Dolores«, rief er, ergriff ihre Hand und küsste sie. »Bitte empfehlen Sie mich daheim. Sehe ich Ihren Vater heute Abend im Club?«
»Ich nehme es an. Aber was wissen Töchter schon von ihren Vätern?«
»Mehr als umgekehrt!« Don Porfirio lachte, und Dolores stimmte lauter, als es sich ziemte, ein.
Jaime wartete ab, bis das Lachen verklang. »Guten Abend, Señor Presidente«, rang er sich dann ab.
Der Präsident umspannte seine Stirn mit der Hand. »Ja, ja, natürlich, guten Abend! Aber helfen Sie mir auf die Sprünge, mein Bester, Ihr Name will mir gerade partout nicht in den Kopf.«
Jaime fühlte seine Schultern im schmerzhaften Krampf erstarren. In seiner Mundhöhle sammelte sich Speichel, den er gern seinem Gegenüber ins Gesicht gespuckt hätte. »Ich bin Jaime Sanchez Torrija«, brachte er eisig hervor. »Sohn des Militärkommandanten von Querétaro. Was ich sonst noch bin, behalte ich hier vor aller Ohren wohl besser für mich.« Eines Tages, das schwor er sich, würde die Nennung seines Namens genügen, um einen Saal zum Schweigen zu bringen.
»Aber ja doch, aber ja doch, mein Bester«, fiel Don Porfirio ihm wie ein Kerl ohne Erziehung ins Wort. »Gott erhalte und schütze Querétaro, nicht wahr? Das ewige Querétaro.« Dazu patschte er ihm auf die verkrampfte Schulter. »Nehmen Sie doch noch einen vom Grünen, das macht die Sorgen leichter und die Frauen schöner.«
»Señor Presidente!« Diaz wollte weitergehen, doch Jaime vertrat ihm den Weg. »Meine Familie hat Ihre Wiederwahl unterstützt, wir finanzieren die Rurales in Querétaro, und ich denke, ich habe Ihnen auch sonst schon manchen Gefallen getan, selbst wenn wir darüber Stillschweigen wahren. Ich darf wohl erwarten, dass Sie mich zu Ende anhören, wie es schlichte Höflichkeit gebietet.«
»Selbstverständlich, selbstverständlich.« Die Stimme des Mestizen klang, als wäre er in Gedanken meilenweit weg. »Hätte es denn Zeit, oder muss die Sache hier und jetzt besprochen werden?«
»Hier und jetzt«, stellte Jaime klar. »Es geht um unsere Plantage in Yucatán, die der Vergrößerung bedarf. Wie Ihnen bekannt sein dürfte, gibt es dort unten Meilen um Meilen von Gemeindeland, die praktisch brachliegen, weil sie unkundig bewirtschaftet werden. Meine Familie wünscht eine Genehmigung, um dieses Land aufzukaufen und es im Sinne der Bodenreform zu nutzen.«
»Geschenkt, geschenkt.« Don Porfirio winkte ab. »Wenn Sie sich der grausamen Wildnis annehmen wollen und sich von den selbsternannten Kreuzrittern, die dort mit Klauen, Zähnen und Macheten auf ihrem steinzeitlichen Staat beharren, nicht schrecken lassen, nur zu! Dazu bedarf es doch keiner Frage, mein Bester.«
Jaime konnte sich nicht dazu durchringen, sich zu bedanken. Er hatte sein Ziel erreicht und fühlte sich dennoch abgekanzelt
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