Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
deutete eine Verbeugung an. »Sie sagen es, Don Manuel. Schieben wir unseren Aufbruch noch ein wenig auf.« Einem Diener, der ihm ein Tablett mit den grässlichen Cocktails darbot, befahl er: »Bringen Sie Champagner. Immerhin sind Damen im Saal.« Gleich darauf nahm er zwei Kelche in Empfang, ohne sich zu bedanken. Die Schöne im roten Kleid lächelte noch immer, als er mit den Gläsern vor sie hintrat. »Eines davon müssen Sie mir abnehmen. Andernfalls ist es mir nicht möglich, Ihnen die Hand zu küssen.«
»Und Sie sind sicher, dass ich das möchte?«
»Aber ja«, erwiderte er kühl. Allzu viel Geziere war ermüdend. Sie nahm das Glas, er beugte den Rücken und streifte mit den Lippen ihren Handschuh. »Jaime Sanchez Torrija«, stellte er sich vor und prüfte im Aufrichten ihr Gesicht. Ihre Haut war rein, ohne den leisesten verdächtigen Olivton, und die Harmonie ihrer Züge kündete von einer Ahnenreihe ohne Makel, wie man sie in Mexiko kaum je fand.
»Tatsächlich?« Sie lachte. »Sie machen in der Stadt von sich reden. Man nennt Sie den schönen Andalusier, wussten Sie das?«
Jaime war in Mexiko zur Welt gekommen, aber erzogen worden war er in der kultivierten Vornehmheit seiner mütterlichen Verwandten in Sevilla. Hätte es dort keinen erbberechtigten Vetter gegeben, wäre er nie und nimmer nach Mexiko zurückgekehrt. Über seine Schönheit war auch in Andalusien getuschelt und im Verborgenen geseufzt und geschmachtet worden. Hier aber, wo an schönen Menschen ein solcher Mangel herrschte, prasselten Komplimente wie Hagel auf ihn nieder.
»Gefällt es Ihnen nicht?« Wieder lachte sie. »Wäre es Ihnen lieber, man würde Sie für Ihre Klugheit oder Ihren Edelmut loben?«
»Gewiss nicht«, erwiderte er. »Mir wäre lieber, man würde nicht so viel unsäglichen Schwachsinn schwatzen.«
Beim Lachen blitzten ihre Augen. »Ay dios mio, was haben Sie für einen schlimmen Mund!« Mit ihrem Fächer, der in demselben Blutrot gefertigt war wie ihr Kleid, schlug sie ihm auf die Wange. Jaimes Schultern verkrampften sich. Es war nur ein Klaps, eine Art von neckender Liebkosung, aber ihn zu schlagen durfte niemand wagen. Ohne nachzudenken, fing er den Fächer auf und zerdrückte das fragile Holzgestell in der Faust.
Wenn sie erschrak, verbarg sie es gut. »Allerhand«, bemerkte sie nur.
»Darf ich vielleicht erfahren, mit wem ich es zu tun habe?«, überspielte er seinen eigenen Schrecken.
»Aber gern. Eine schlichte Frage hätte übrigens genügt. Ich bin Dolores de Vivero.«
Die einzige Tochter des Conde del Valle de Orizaba, des bei weitem reichsten Mannes von Mexiko. Einer der wenigen, deren Stimme bei Porfirio Diaz Gewicht besaß, und damit eine Bekanntschaft, die politischen Nutzen versprach. »Sind Ihre Eltern auch hier?«, fragte er.
»O nein.« Sie schüttelte den Kopf und wies auf eine Gruppe schnatternden Volks, das sich vor der Front der vergitterten Fenster scharte. »Freunde haben mich mitgenommen. Wir wollten eigentlich zum Essen ins Feniz, doch dann kam uns die Idee, hier noch auf jemanden zu warten.«
»Gehen Sie jetzt zum Essen«, sagte Jaime. »Ins Concordia. Mit mir.«
Keine Dame von Stand hätte eine solche Einladung annehmen dürfen, doch die wenigsten waren imstande, ihr zu widerstehen. Dies war Mexiko, sosehr sich die Elite auch bemühte, sich ein Leben wie in Europa vorzugaukeln. Anstand und Moral waren so versumpft wie die Straßen in den Slums im Osten, deren keine Polizeitruppe Herr wurde. Sie würde mit ihm gehen, und er würde einen Abend lang der Langeweile entkommen. Er senkte seinen Blick in ihren und ließ die Trümmer des Fächers fallen, um ihr seinen Arm zu bieten.
»Haben Sie mich nicht gehört?«, fragte sie und hob die zierlichen Brauen. »Ich sagte, ich bin hier, um auf jemanden zu warten.«
»Versetzen Sie ihn«, sagte Jamie. »Wer immer er ist.«
»Versetzen kann ich ihn nicht, denn ich habe ja keine Verabredung mit ihm.« Sie neigte den Kopf und senkte halb die Lider. »Ich wäre lediglich froh, ihn zu sehen.«
»Und wer ist der illustre Mensch, der es Ihnen wert ist, auf leeren Magen diesen erbärmlichen Champagner zu trinken?«
Ob sie ihm Antwort gegeben hätte, blieb offen, denn in diesem Augenblick entstand ein kleiner Tumult. Die Türen wurden neuerlich aufgezogen, und umringt von einem Schwarm Minister betrat der Präsident den Saal. Für einen halben Barbaren sah er höchst respektabel aus, das musste Jaime zugestehen. Die wachsende Machtfülle stand
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