Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)
wie ein Barbar, ein nach Ziege stinkender indianischer Botenjunge.
Ins verlegene Schweigen fiel der Schlag der Türen. »Ich fürchte, jetzt müssen Sie mich entschuldigen«, murmelte der Präsident und wandte sich um. »Der König von Querétaro hat bereits angekündigt, dass es ihn nach meiner Gesellschaft verlangt, und wer lässt einen König schon gern warten? Ich empfehle mich – man sieht sich im Club.«
Alle Köpfe drehten sich. Alle auf einmal.
Der Mann, den er den König von Querétaro nannte, betrat lässig wie ein Spaziergänger den Saal und wirkte doch, als wäre er hier der Hausherr. Die Schlichtheit seines Anzugs war täuschend, und die rote Faja des Gouverneurs trug er ein wenig wie ein Matador. Vielleicht nur, weil er ungewöhnlich schlank war für einen betuchten Mann seines Alters. Vielleicht aber auch, weil er etwas an sich hatte, das an Menschen viel seltener war als an Tieren – Grazie. Sein Haar verriet noch, dass es einst schwärzer als schwarz gewesen war, und sein Gesicht war vollkommen glatt rasiert. Jemand hätte ihm verbieten müssen, sich den Bart zu scheren, damit dieses Gesicht bedeckt blieb, nicht nackt. Es war das Gesicht eines träumenden Heidengottes, eines Helden aus versunkenen Kriegerlegenden. Jemand hätte ihm verbieten müssen, ein solches Gesicht zu besitzen. Dass das Gesicht so schön war, machte seine Farbe geradezu obszön: Braun wie Erde. Braun wie Tabak. Braun wie Exkremente von Straßenkötern.
Dort, wo Jaime herkam, hätte kein Mann mit solcher Hautfarbe den Palast seines Präsidenten betreten dürfen. Hier aber betrugen sich die Gäste, als hätten sie den ganzen Abend lang auf keinen anderen gewartet. »Don Benito«, kreischte die überfütterte Gattin des Ministers für öffentliche Arbeit und breitete die Arme aus. »Ich dachte schon, Sie würden sich unserer Sehnsucht überhaupt nicht mehr erbarmen.«
Der Mann wandte den Kopf, und über sein Gesicht zog ein Lächeln. Jauchzend bewegte die Dicke sich auf ihn zu, doch ehe sie ihn sich einverleiben konnte, stürzte sich eine andere dazwischen – Dolores de Vivero. Sie rannte so haltlos, dass der griechische Knoten sich löste und ihr Haar sich über ihre Schultern ergoss. Von der begehrenswerten Sprödheit war nichts mehr übrig, als sie sich dem Mann an den Hals warf wie eine gewöhnliche Straßenschlampe. Aber auch die hätte in Sevilla Abstand von einem Barbaren gehalten, der nicht ihrer eigenen Rasse, sondern einem tierischen Volk entstammte. Jaimes Schultern waren vollkommen steif. Eben noch hatte er Dolores unterhaltsam gefunden. Jetzt ekelte sie ihn, und der Gedanke, dass er mit ihr zu Abend hatte essen wollen, ließ ihn schaudern.
Ohne Scham wisperte sie mit ihrem Geliebten, der zu allem gewiss doppelt so alt war wie sie. Das Verhalten des Barbaren war beherrschter, weniger degoutant als ihres, doch seine Hand, die über ihr Haar fuhr, verriet ihn. Jaime hatte den Mann längst erkannt, auch wenn er ihn nie zuvor gesehen hatte. Es war der, von dem sein Vater sprach, wie andere von Erdbeben, Seuchen und Überflutungen sprachen. Er selbst hatte einen läppischen Journalisten ins Gefängnis gebracht, um diesen Mann herauszufordern, und hatte sich in ihm einen ebenbürtigen Gegner erhofft. Vergeblich, wie es schien. Diaz mochte ihn den König von Querétaro nennen, aber er war nicht mehr als ein in die Jahre gekommener Gassenjunge, der vor schwüler Liebe unter den Achseln schwitzte.
Dolores schmiegte den Kopf in seine Halsbeuge, derweil ihr Rücken zuckte, als würde sie weinen. Der Ring der Gaffer verharrte bemerkenswert schweigsam, während der Präsident sich zwischen Wänsten hindurchschob. Würde er seinen Gouverneur zur Ordnung rufen? Würde er ihn mit Verachtung strafen und ohne ein weiteres Wort in den Club aufbrechen? Porfirio Diaz tat nichts. Es war der andere, der ihn bemerkte und sich durch einen Blick mit ihm verständigte. Sachte umfasste er die Schultern des Mädchens, sprach ein paar leise Worte und löste sich aus ihrem Griff. Vermutlich hatte sie noch nicht einmal erfasst, wie ihr geschah, als die zwei Männer den Raum verließen.
Jaime war übel. Er würde sich den Abend im Club ersparen und nach Hause gehen, in sein abgedunkeltes Schlafzimmer über der Schatten spendenden Alameda. Vielleicht hatte das Volk, das behauptete, es gebe Schlimmeres als Langeweile, recht. An den Türen stand noch immer Dolores de Vivero, die so sieghaft gewirkt hatte, dass er ihr gern das Herz gebrochen
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