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Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal der träumenden Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Lobato
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bleierner Müdigkeit. Sie liefen in Richtung Zócalo, in einem Bogen um den Platz herum und in Richtung Osten über den Blumenmarkt, der gerade zum Leben erwachte. Die Frauen, die ihre leuchtende Blütenpracht auf wacklige Tische oder ausgebreitete Decken häuften, waren sämtlich indianischer Herkunft. Zwischen den glanzvollen Fassaden der Häuser nahmen sich ihre zusammengestoppelten Kleider und die barfüßigen, verdreckten Kinder, die sie bei sich hatten, merkwürdig aus. Josefa hatte Mühe, Tomás’ Zickzacklauf zu folgen und im Gewimmel niemanden anzurempeln. Der Duft des scharf gebratenen Schweinefleischs, das die Straßenverkäufer in ihre Tortillas füllten, ließ sie spüren, wie leer ihr Magen war.
    »Wohin gehen wir?«, rief sie Tomás hinterher, als sie aus der breiten Avenue mit dem Markt in eine schmale Seitengasse einbogen.
    »Nach Osten«, erwiderte er grimmig. »Nur immer weiter nach Osten, sonst nichts.«
    »Und was tun wir dort?«
    Er drehte sich im Laufen um. »Nichts. Wir sehen es uns nur an. Eines Tages lässt Jaime Sanchez Torrija vermutlich Sprengstoff in all diese Viertel karren und sie in einem einzigen Knall in Rauch aufgehen, damit sie ihm nicht länger die Luft verpesten. Dann weißt du wenigstens, dass sie existiert haben.«
    Während die Gassen, die sie durchquerten, enger wurden, verlangsamte Tomás seinen Schritt. Es war, als laste auf einmal Gewicht auf ihnen und zwinge sie, sich zu schleppen, statt zu eilen, ganz wie die Menschen, die hier lebten. Die weißen Herrenhäuser, die vornehmen Hotels und Restaurants und die im prunkvollen Kolonialstil erbauten Regierungsgebäude waren anderen Bauten gewichen. Die Wohnhäuser wirkten verfallen, selbst farbig verputzte Fassaden grau vom Schmutz. Aus zerschlagenen Fenstern hingen Leinen mit zerlumpter Wäsche, und auf dem schadhaften Pflaster holperten Karren, gezogen von erbärmlich klapprigen Maultieren.
    An einer Ecke lungerte ein Mann im Türstock seines Eckladens, den Strohhut tief ins Gesicht gezogen und offensichtlich im Stehen eingeschlafen. Vor dem Geschäft standen zwei Klappstühle um einen wackligen Tisch, auf dessen Tischplatte sich Schwärme grünlicher Fliegen an klebrigen Flecken gütlich taten. Die Scheibe vor der Auslage war so verdreckt, dass Josefa Mühe hatte hindurchzusehen. Ein paar Ringe Trockenwürste hingen über einem Stapel Zuckerpakete und einem einzigen Ball gelben Käses. So wenig appetitlich die Auswahl auch anmutete, Josefas Magen zog sich zusammen. »Ich habe Hunger, Tomás.«
    »Und hast du das schon einmal gehabt, Hunger? Ohne dass sogleich jemand aufsprang, um dem Prinzesschen das Frühstück zu richten?«
    »Warum bist du eigentlich so selbstgefällig?«, fragte sie. »Deine Eltern dürften noch reicher sein als meine, und du bist ihr gehätschelter Augapfel. Wenn du mich hierhergeschleppt hast, um mich mit der Armut in der Stadt zu erschrecken, dann muss ich dich enttäuschen. Ich mag aus der Provinz stammen, aber das Gesicht der Armut kenne ich. Ich habe darüber geschrieben. Die Kinder, die meine Mutter unterrichtet, besitzen kein einziges Paar Schuhe, und wenn meine Mutter ihnen Capulin-Kirschen hinstellt, verderben sie sich den Magen, weil sie vor Hunger schlingen.«
    »Deine Mutter ist eine prachtvolle Frau«, sagte Tomás und klang nicht mehr so überheblich. »Ich frage mich, was sie zu dem Mann sagen würde, dem du hinterherläufst. Zu einem Mann, der ihr nur zu gern verbieten würde, räudige Indio-Blagen zu unterrichten und ihnen Capulin-Kirschen zu schenken, weil es ihm nämlich das Liebste wäre, wenn diese Blagen möglichst schnell und ohne Aufwand krepieren.«
    »Ich laufe ihm nicht hinterher«, fauchte Josefa. »Und was meine Mutter von ihm oder von mir hält, ist mir einerlei. Meine Mutter hat ja schließlich ein braves zweites Töchterlein, an dem sie sich ergötzen kann.«
    »Das glaubst du von Anavera? Dass sie ein braves Töchterlein zum Ergötzen ist?« Verblüfft blieb Tomás stehen. »Anavera ist so viel mehr. Hast du nie gespürt, wie viel Kraft in ihr steckt? Anavera reitet Hengstfohlen zu, flickt Dachbalken und zerrt einer Kuh das Kalb aus dem Leib, wenn es nötig ist. Aber vor allem hat sie ein Herz, das stark genug ist, um dich und mich auf den Schultern zu tragen.«
    Seine Augen glänzten, dass Josefa übel wurde. »Spar dir das Gesäusel für deine Braut auf«, herrschte sie ihn an. »Dass Anavera Gottes herrlichstes Geschenk an die Menschheit ist, bekomme ich zu hören,

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