Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
er ungläubig. Die paar Kinnhaken …
Einer der beiden Polizisten, die ihn festgenommen hatten, nickte nachdrücklich. »Oh ja. Abgesehen von etlichen ausgeschlagenen Zähnen und einer gebrochenen Nase hat er eine schwere Gehirnerschütterung und einen Schädelbasisbruch erlitten. Nicht gerade eine Bagatelle, würde ich sagen.«
»Schädelbruch?«
»Er ist mit dem Hinterkopf auf eine Tischkante gekracht. Nachdem Sie ihn niedergeschlagen haben.«
»Das wollte ich nicht«, beteuerte Ryan. »Es war eine ganz normale Schlägerei, und ich habe auch eine Menge abbekommen …« Zum Beweis zeigte er seinen in allen Variationen von Lila schimmernden Oberarm, aber natürlich kam er damit nicht gegen einen Schädelbruch an.
»Er hat mich provoziert«, fügte er schwach hinzu.
Niemanden interessierte das besonders. Provokation hin oder her, er hatte einen jungen Mann krankenhausreif geschlagen, und es war noch nicht sicher, welche Schäden letzten Endes bei dem Opfer zurückbleiben würden. Es gab jede Menge Zeugen, denn die Kneipe war überfüllt gewesen. Durch geduldiges Befragen der Gäste hatten die Beamten sehr bald Ryans Namen und schließlich auch seinen Aufenthaltsort in Debbies Wohnung herausgefunden. Dass er sich seiner Festnahme durch Flucht hatte entziehen wollen, machte seine Lage noch prekärer.
Er steckte, wie ihm selbst klar war, bis zum Hals in der Scheiße.
Man hatte ihn über seine Rechte belehrt. Unter anderem hätte er einen Angehörigen oder Bekannten draußen über seine Festnahme informieren dürfen, aber darauf verzichtete er. Es wären nur seine Mutter, zu der er schon seit längerer Zeit keinen Kontakt mehr hatte, oder Debbie in Frage gekommen; die eine hätte mit Schrecken und Entsetzen, die andere mit unverhohlener Wut reagiert, und beidem mochte er sich nicht aussetzen. Es schien ihm jedoch angebracht, von seinem Recht auf einen Anwalt unverzüglich Gebrauch zu machen.
Aaron Craig tauchte tatsächlich noch an diesem schon ziemlich späten Sonntagabend in dem Revier auf, recht ungehalten, dass ihm sein Wochenendausklang auf so unschöne Weise vermasselt wurde. Der sechsundfünfzigjährige Jurist hatte sich drei Jahrzehnte zuvor voller Idealismus und mit ganzer Kraft in sein persönliches Projekt, der juristischen Begleitung und Unterstützung jugendlicher Straftäter, speziell solcher, die aus problematischen familiären Verhältnissen stammten, gestürzt. Sein Ziel war es gewesen, ihnen nicht nur vor Gericht zu helfen, sondern ihnen darüber hinaus Freund, Mentor, Wegweiser zu sein. Inzwischen hatte sich sein Idealismus ziemlich erschöpft. Er hatte zu vielen Schützlingen auf die Beine geholfen und war anschließend bitter enttäuscht worden, sodass aus dem feurigen, hoch motivierten Weltverbesserer längst ein müder und schroffer Zyniker geworden war. Ryan Lee hatte er vertreten, seitdem dieser im Alter von siebzehn Jahren bei seinem ersten Ladendiebstahl erwischt worden war, und schon lange glaubte er nicht mehr, dass aus dem mittlerweile einunddreißigjährigen Mann jemals ein anständiger Bürger oder auch nur ein halbwegs vernünftiger Zeitgenosse werden würde. Dennoch fühlte er sich verantwortlich und opferte seinen Sonntagabend, als er hörte, in welchen Ärger sich sein Schützling diesmal hineingeritten hatte.
Nach Ryans kurzer Vernehmung – bei der er alles zugab, jedoch darauf beharrte, keinesfalls eine so schwere Verletzung seines Gegners beabsichtigt zu haben – sprach Aaron noch unter vier Augen mit ihm. Er bemühte sich dabei nicht, Ryans Situation zu beschönigen.
»Das sieht richtig böse für dich aus«, sagte er. »Richtig böse, darüber musst du dir im Klaren sein. Der Junge ist verdammt schwer verletzt, Mann! Du hast mitbekommen, wie alt er ist? Neunzehn. Du hast einen neunzehnjährigen Jungen so verprügelt, dass er jetzt wochenlang im Krankenhaus liegen wird, und das alles nur, weil er betrunken war und ein wenig herumgepöbelt hat!«
»Er hat mich beleidigt«, sagte Ryan.
»Er hat viele, die in dem Pub saßen, dumm angemacht. Das ist die einheitliche Aussage, du hast es doch gerade gehört. Er war sturzbesoffen, torkelte von Tisch zu Tisch und laberte irgendwelchen Blödsinn. Niemand nahm das ernst. Der Einzige, der aufsprang und durchdrehte, warst du!«
Ryan schwieg. Was sollte er dazu auch sagen?
Aaron seufzte. »Diesmal rückst du ein, Ryan. Ich werde es nicht verhindern können.«
Ryan sah ihn flehentlich an. »Aaron – bitte, du musst mir helfen!
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