Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
Ich meine … schwere Körperverletzung … Läuft es wirklich darauf hinaus?«
»Ich fürchte, ja«, sagte Aaron. »Dein Opfer lag blutüberströmt und bewusstlos in der Ecke, als du mit ihm fertig warst, und dann wurden noch die Gehirnerschütterung und der Schädelbruch festgestellt, und niemand weiß, unter welchen Folgeschäden der Junge vielleicht sein Leben lang leiden wird. Das Ganze wird definitiv als schwere Körperverletzung verfolgt werden. Wenn wir Glückhaben, gelingt es mir, den Paragraphen 20 für dich herauszuschlagen, dessen Vorteil im Kern darin besteht, dass man dir zuerkennt, nicht vorsätzlich oder aufgrund einer besonders bösartigen Gesinnung gehandelt zu haben. Du warst selbst betrunken, du fühltest dich provoziert und so weiter. Du konntest nicht ahnen, dass er auf diese Tischkante knallen würde. Ich versuche es, Ryan. Ich tue mein Bestes.«
»Und wenn das nicht klappt?«, fragte Ryan verzagt.
»Dann wird es der Paragraph 18. Etwas vereinfacht ausgedrückt: die vorsätzliche schwere Körperverletzung. Das können bis zu fünfundzwanzig Jahre Freiheitsstrafe werden.«
»Fünfundzwanzig Jahre? Aaron, ich hatte nicht mal eine Waffe. Ich …«
»Das ist unerheblich«, erklärte Aaron.
Ryan spürte, wie sich sein Hals zuschnürte. Es fiel ihm immer schwerer zu schlucken. »Wenn sie mir … also wenn sie mir glauben, dass ich das alles nicht wollte … Wie lange muss ich dann …?«
»Bis zu fünf Jahre. Und ich vermute, die werden auch verhängt. Ich kann mir keinen Richter vorstellen, der bei dir Milde walten lässt. Du hattest bereits zwei Bewährungsstrafen. Dein übriger krimineller Kleinkram füllt einen ganzen Polizeiordner. Du bist aktenkundig seit deiner Jugend. Soll ich dir sagen, was der Richter in dir sehen wird? Einen hoffnungslosen Fall. Den man endlich mal mit der Realität konfrontieren muss.«
Ryan sank in sich zusammen. Ihm war klar, dass Aaron recht hatte. Er hatte es zu weit getrieben. Wegen nichts und wieder nichts. Er hatte den Typen nicht mal gekannt. Und ihm war inzwischen auch längst klar, dass er nicht einmal von einer ernsthaften Provokation sprechen konnte, die ihn zu seiner Tat animiert hatte. Denn es stimmte, was die Zeugen der Polizei gegenüber zu Protokoll gegeben hatten: Der dünne betrunkene Junge hatte nahezu jeden im Raum angepöbelt. Teilweise hatte man ihn nicht einmal richtig verstehen können. Aber nur einen hatte er damit in einen Ausbruch unkontrollierbarer Aggressionen getrieben: Ryan Lee. Der es nicht schaffte, seine verdammt niedrig angesetzte Schwelle zur Gewalt endlich etwas höher zu hängen.
»Ich hatte dir doch zu einem Anti-Aggressions-Training geraten«, sagte Aaron, »aber ich vermute, es ist bei deinem bloßen Versprechen, es zu versuchen, geblieben?«
Ryan blickte zu Boden. Er hatte es wirklich vorgehabt. Er wusste, dass er zu schnell ausrastete und dass er dringend etwas dagegen unternehmen musste. Aber letztlich hatte er sich nicht aufraffen können.
»Tja«, sagte Aaron, »dann sind wir nun also nach vielen Jahren an der Stelle angelangt, wo du in den sauren Apfel beißen musst. Hilft nichts, Junge. Vielleicht kommst du raus und hast endlich kapiert, wie das Leben läuft!«
»Meinst du, ich muss die volle Strafe absitzen?«
»Wenn du dich richtig anstrengst im Knast, wenn du dich wirklich gut und tüchtig und reumütig zeigst, dann erwartet dich mit Sicherheit eine vorzeitige Entlassung wegen guter Führung. Nach vielleicht zwei Jahren.«
Zwei Jahre. Eine Ewigkeit …
»Aber«, sagte Ryan, »bis zur Verhandlung werde ich auf freiem Fuß sein?«
So war es in den beiden anderen Fällen, in denen es zu einer Anklage gegen ihn gekommen war, gewesen: Aaron hatte es jedes Mal geschafft, ihm den Antritt der Untersuchungshaft zu ersparen.
Zu seinem schieren Entsetzen aber schüttelte der Anwalt auch bei dieser Frage, die Ryan eher als Feststellung gemeint hatte, den Kopf.
»Sieht nicht gut aus. Ich fürchte, die lassen dich nicht mehr raus.«
»Aber …«
»Ich versuche es, aber meiner Ansicht nach liegen leider ausreichend Gründe für die Anordnung einer Untersuchungshaft vor. Besonders schwer wiegt natürlich, dass du zurzeit ohne festen Wohnsitz bist und dass du dich deiner Festnahme durch Flucht zu entziehen versucht hast. Tut mir leid, aber auch da hast du ganz schlechte Karten.«
»Ich muss raus!«, sagte Ryan beschwörend. Ihm brach schon wieder der Schweiß aus, wie am frühen Abend, als er nach Swansea
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