Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
genug gewesen, sie nicht gleich zu beseitigen, und Vanessa würde sie identifizieren können. Ryan wäre sofort überführt, die Beweise gegen ihn erdrückend. Und eines wusste er, musste es nicht einmal erfragen: Was immer Aaron Craig für ihn zu tun bereit wäre – das Beseitigen von Spuren an einem Tatort würde nicht darunterfallen.
»Es gibt einfach noch ein oder zwei wichtige Dinge zu erledigen«, sagte er. »Ich möchte nicht so gerne darüber sprechen.«
»Kann ich das übernehmen?«
»Nein«, sagte Ryan und blickte zur Seite. Vielleicht hatte er gerade begonnen, Vanessa Willards Todesurteil zu unterschreiben.
Es blieb nur eine geringe Chance.
Ein Termin beim Haftrichter, der positiv für ihn ausging.
4
Knapp vierundzwanzig Stunden später, am Montagnachmittag, stand Ryan vor dem Magistrates’ Court, wo über seine Freilassung oder seinen Verbleib im Gewahrsam bis zur Hauptverhandlung entschieden werden sollte, und wie Aaron Craig vorausgesehen hatte, hielt man es dort für allzu bedenklich, jemanden wie Ryan Lee auf freien Fuß zu setzen – vor allem angesichts der Schwere der ihm zur Last gelegten Tat. Der Umstand, dass er abgehauen war, als ihn die Polizisten zum Stehenbleiben aufforderten, machte die ganze Angelegenheit nicht besser, vor allem aber auch die Tatsache, dass er keinen festen Wohnsitz nachweisen konnte, stattdessen seit Monaten ständig wechselnd bei verschiedenen Bekannten, zuletzt bei seiner ehemaligen Lebensgefährtin, gelebt hatte. Aaron argumentierte mit dem Job als Fahrer der Wäscherei, den sein Mandant immerhin seit beinahe einem halben Jahr zufriedenstellend ausübte, und übernahm es auch, für seinen Verbleib in Swansea sowie sein pünktliches Erscheinen zur Hauptverhandlung zu bürgen. Er zog die wenigen Register, die ihm überhaupt bliebe n, aber er scheiterte. Der Haftrichter kannte Ryan Lee und hatte von ihm und seinen ewigen Eskapaden endgültig genug; abgesehen davon ließen ihm die Umstände, wie sie einmal waren, ohnehin praktisch keine Wahl.
Er ordnete Untersuchungshaft an. Ryan wurde in das Gefängnis von Swansea überstellt mit der Aussicht, dass ihm sehr rasch der Prozess gemacht werden würde.
Er wusste, dass dies der Moment war, da er sich seinem Anwalt anvertrauen musste. Aaron Craig war jetzt die einzige Chance, die Vanessa Willard noch blieb.
An seinen Ängsten und Sorgen hatte sich jedoch nichts geändert, sie waren höchstens noch größer und bedrückender geworden. Wenn er wegen der Körperverletzung noch mit fünf Jahren davonkam, jedoch darüber, dass er Aaron einweihte, in der Sache Vanessa Willard aufflog, dann standen ihm zehn Jahre bevor. Oder zwölf. Oder mehr. Er wusste es nicht genau, aber ihm schwante, dass man für das, was er getan hatte, keinesfalls glimpflich davonkommen würde.
Am Ende der ersten Woche hatte er eine grauenhafte Zeit hinter sich. Das Gefängnis entpuppte sich für ihn genau als die Hölle, die er sich vorgestellt hatte, wobei er wusste, dass er vorläufig nur den Vorgeschmack bekam: Denn die Untersuchungshaft war komfortabler und mit mehr Privilegien ausgestattet, als es die eigentliche Haft später sein würde. Am schlimmsten aber war, dass er an nichts und niemanden als an Vanessa denken konnte: Er war kriminell, labil und aggressiv, aber willentlich würde er einem anderen Menschen nicht antun, was er Vanessa Willard antat, wenn er nicht schnellstens dafür sorgen konnte, dass sie aus ihrer Situation befreit wurde. Er kannte diese Frau nicht, aber die ganze Woche über hatte er ihr Schicksal so intensiv mit erlitten, dass es ihm schon fast vorkam, als verschmelze er langsam zu einer Einheit mit ihr. Er konnte ihre Schreie hören, vernahm, wie ihre Stimme immer heiserer und brüchiger wurde. Er konnte sehen, wie sie versuchte, sich aus der Kiste zu befreien, wie ihre Fingernägel abbrachen und sie sich Splitter unter die Haut trieb, während sie verzweifelt an dem Deckel der Kiste kratzte. Er spürte, wie die Panik immer wieder Besitz von ihr ergriff und sie fast in den Wahnsinn trieb. Er sah die Momente vor sich, in denen sie sich selbst zu beruhigen versuchte, in denen sie sich Mut zusprach, Kräfte zu sammeln versuchte, sich mit autogenem Training oder Yoga in eine mentale Situation zu versetzen bemühte, die es ihr möglich machte, irgendwie über die Verzweiflung zu triumphieren. Er stellte sich vor, wie sie dann wieder zusammenbrach, sich schreiend in ihrem Gefängnis wälzte, den Kopf anschlug, brüllte wie
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