Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
etwas in Ordnung bringen konnte. Ich zog meine Lippen nach, betrachtete mich prüfend im Spiegel. Ich sah aufgeregt und erwartungsvoll aus und irgendwie leuchtend. Meine Augen waren groß und glänzend, meine Haut schimmerte rosig. Der Tag, so anstrengend und unangenehm er zunächst gewesen war, schien in einen wunderbaren Abend zu münden, der, das spürte ich einfach, eine Wende bringen würde. Einen echten Neuanfang diesmal, der nicht in seinen ersten Anläufen stecken bleiben würde wie jener gescheiterte Versuch, den Matthew vor einigen Wochen gestartet hatte. Wir hatten die entscheidende Schwelle erreicht; wir würden sie überschreiten und die Zeit der Unklarheit und des Unglücks hinter uns lassen. Ich wusste es. Ich hätte nicht erklären können, weshalb ich so sicher war.
Unvermittelt vernahm ich in diesem Moment die Stimme von Bill.
Was machen Sie, wenn Vanessa wieder auftaucht?
Auf einmal war es, als lege sich ein Schatten über das Badezimmer. Vielleicht war es tatsächlich so, vielleicht war wirklich eine Wolke über den makellosen Sommerhimmel gesegelt und hatte sich für einen Moment vor die Sonne geschoben. Ich war alt genug, um zu wissen, dass das Leben manchmal auf eine ziemlich zynische Weise gemein sein konnte. Wenn das Schicksal vorgesehen hatte, Vanessa wieder aufkreuzen zu lassen, dann wäre jeder Moment von jetzt an ganz besonders perfide. Matthew und ich würden uns nun aufeinander einlassen. Fast drei Jahre lang hatte Matthew gehofft, seine Frau wiederzusehen, aber wenn sich sein Wunsch jetzt erfüllte, würde das dramatische Konsequenzen nach sich ziehen.
Ich mochte gar nicht daran denken, wie schmerzhaft sich die Dinge für mich womöglich noch entwickeln konnten.
»Dann denk auch nicht darüber nach«, sagte ich laut zu meinem Spiegelbild. Ich schaute kurz zum Fenster hinaus: Der Schatten war reine Einbildung gewesen. Es gab nicht die kleinste Wolke am Himmel.
Ich verließ das Badezimmer, und dann gingen wir hinunter, um in dem Restaurant, das zu dem Hotel gehörte und dessen kulinarische Köstlichkeiten weithin gerühmt wurden, zu Abend zu essen. Wir wurden zunächst in die Bar im Keller gebeten, um dort einen Drink zu nehmen. Es war ein gemütlicher Raum, der uns empfing, mit teilweise weiß gekalkten, teilweise holzgetäfelten Wänden. Es gab zwei große Ledersofas, aber auch einzelne kleine Tische mit Stühlen darum herum. Überall brannten Teelichter. Es waren bereits etliche Gäste versammelt, die mit ihren Gläsern in der Hand zwanglos herumstanden oder saßen. Einige kannten einander offenbar, denn sie unterhielten sich lebhaft und fröhlich. Matthew und ich blieben für uns und tranken unseren Sherry. Ich spürte, dass wir einige verstohlene Blicke auf uns zogen, auffällig, wie wir nun einmal waren in unserer schwarzen Kleidung. Eine Dame, die ebenfalls ohne Anschluss war, sprach uns schließlich an.
»Sie sind heute angekommen?«, fragte sie.
Ich nickte. »Ja. Vor einer Stunde.«
»Bleiben Sie länger?«
»Nur bis morgen«, sagte Matthew.
»Sie müssen unbedingt über den Klippenpfad wandern«, sagte die Dame. »Und außerdem sollten Sie sich das Vogelschutzgebiet ansehen. Es liegt hier fast hinter dem Haus. Einzigartige, seltene Seevögel brüten dort. Ein unglaublich friedlicher, schöner Ort.«
Ich blickte auf meine schwarzen hochhackigen Schuhe hinunter und stellte mir vor, wie sich darin die Wanderung über einen Klippenpfad anfühlen mochte.
Die Dame senkte ihre Stimme. »Sie kommen von einer Beerdigung?«, fragte sie anteilnehmend.
»Meine Schwiegermutter«, erklärte Matthew mit erster leiser Ungeduld in der Stimme. Die Frau ging ihm auf die Nerven.
Sie verzog schmerzlich das Gesicht und wandte sich dann an mich. »Mein herzliches Beileid«, sagte sie.
Ich brauchte eine Sekunde, um zu kapieren, dass sie die Verstorbene für meine Mutter hielt. Und somit mich für Matthews Ehefrau. Obwohl das ein Missverständnis und eigentlich unwichtig war, erfüllte es mich mit einer stolzen, kindlichen Freude. Wir passten zusammen. Man hielt uns sogar für verheiratet. An diesem einzigartigen Abend schien plötzlich alles auf eine so wunderbare Art in Ordnung zu sein.
Irgendwie gelang es uns, die einsame Dame, die sich uns gerne angeschlossen hätte, loszuwerden und oben zum Essen einen Tisch für uns zu ergattern. Wir tranken Wein und aßen die wirklich vorzüglich zubereiteten Speisen. Wir redeten nicht viel. Zwischen den einzelnen Gängen hielten wir einander an
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