Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
dem Rücken zur Wand, gequält von Todesangst, und allem Anschein nach war diese Angst berechtigt.
»Du bist so etwas von naiv, Nora«, wiederholte er. »Ein anderer Job? Was glaubst du, wie leicht findet jemand einen Job, der zweieinhalb Jahre im Gefängnis saß? Und auch davor schon vorbestraft war? Aber selbst wenn ich diesem verdammten Copyshop eines Tages den Rücken kehren kann, so wird die nächste Stelle mit Sicherheit nichts sein, wo ich nennenswert mehr Geld verdiene. Schon vergessen, dass ich praktisch nichts kann? Ich habe keinen Schulabschluss. Ich habe keine Lehre zu Ende gebracht. Ich habe keine Zeugnisse, weil ich mich mit Gelegenheitsarbeiten durchgeschlagen habe, falls ich mein Geld nicht gerade mit Einbrüchen und Diebstählen verdient habe. Mein Bewährungshelfer ist nicht umsonst vor Glück fast in Ohnmacht gefallen, als mir Dan, diese Mistfliege, die Arbeit in seinem Laden angeboten hat. Er weiß nämlich auch, dass ich praktisch nicht vermittelbar bin. Und Bradley, um auf ihn zurückzukommen, weiß das ebenfalls. Der Alte ist nicht völlig blöd. Und da soll er mir fünfzigtausend Pfund über den Tisch schieben? Vergiss es!«
»Wir müssen es wenigstens versuchen«, sagte Nora. »Weil wir keine andere Chance haben. Ich bin auch noch da. Ich habe ein sicheres Einkommen. Ich werde mich bei Bradley dafür verbürgen, dass er sein Geld zurückbekommt.«
Er sah sie an. Sie gewahrte ein Flackern in seinen Augen.
Es macht ihn rasend, sich in Abhängigkeit von mir zu begeben, dachte sie.
»Bitte, Ryan. Lass dir helfen. Ich … will nichts dafür.«
»Du willst zumindest, dass ich bei dir bleibe.«
»Ja. Aber nicht mehr als das. Ich …« Ich bin längst verliebt in ihn, dachte sie, und ich wünschte, ich könnte herausfinden, ob sich seine Haut überall so wunderbar anfühlt wie an seinen Händen und Armen.
»Ich will nichts als deine Freundschaft«, sagte sie und wunderte sich, dass sie an dieser Lüge nicht erstickte, während sie sie aussprach.
Zum ersten Mal, seit er in dieser Nacht nach Hause gekommen war, lächelte er, aber er wirkte nicht glücklich dabei, sondern absolut resigniert. »Du wirst mir nicht helfen können, Nora. Niemand kann es. Aber ich danke dir, dass du es versuchst.«
9
Irgendwann gegen Morgen, als die Luft, die durch meine Dachfenster in die Wohnung strömte, etwas kühler und frischer wurde, schlief ich ein. Als ich aufwachte, war es schon nach acht. Mein erster Blick galt meinem Handy, aber nie mand hatte mir eine SMS geschickt oder versucht, mich anzurufen. Auch auf meinem Anrufbeantworter befand sich keine Nachricht. Ich rief bei Ken an, und er meldete sich beim ersten Klingeln. Offenbar stand er direkt neben seinem Telefon, und das war kein gutes Zeichen.
»Du hast nichts von Alexia gehört?«, fragte ich gleich, aber es war eher eine Feststellung.
Ken klang entsetzlich müde. »Nein. Ich habe die ganze Nacht über immer wieder ihr Handy angewählt. Ich dachte mir, irgendwann muss es sie doch entnerven, aber … nichts.«
»Vielleicht hat sie es ausgeschaltet. Mein Gott, Ken, du hast nicht eine Sekunde geschlafen, oder?«
»Ich habe es versucht. Aber ich konnte nicht ruhig liegen. Also bin ich wieder aufgestanden, habe mir einen Kaffee nach dem anderen gekocht und versucht, meine Frau zu erreichen. Jenna, das alles ist … Da stimmt irgendetwas nicht!«
»Pass auf, ich komme jetzt gleich zu dir«, bot ich an.
»Ich kann dich nicht abholen«, sagte Ken, »Alexia hat ja das Auto.«
»Kein Problem, ich nehme den Bus. Bis dann!« Ich legte auf, lief ins Bad, duschte, zog mich an, machte mir einen schnellen Espresso und war auch schon fertig zum Aufbruch. Meine Haare waren noch nass, als ich das Haus verließ.
Auf dem Weg zur Bushaltestelle klingelte mein Handy. Es war Matthew, der mir einen guten Morgen wünschen wollte. Er wähnte mich auf dem Weg in den Pembrokeshire Coast National Park und war entsetzt, als ich ihm berichtete, was geschehen war.
»Wo bist du jetzt?«, fragte er.
»An der Bushaltestelle«, erklärte ich. »Ich fahre zu Ken. Er ist vollkommen fertig.«
»Ich komme auch dorthin«, sagte Matthew. »Bis gleich!«
Da es Sonntag war, fuhren alle Busse viel seltener als sonst, und ich musste ewig warten, bis endlich die richtige Linie ankam. Als ich bei Ken eintraf, war Matthew schon dort. Die beiden Männer saßen bei einem Kaffee am Küchentisch und diskutierten mit ernsten Gesichtern die Situation. Max lag mitten im Wohnzimmer und ließ
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