Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
ausgelöst hatte.
Ich stand schließlich auf und stellte mich unter eines meiner weit geöffneten Dachfenster. Ich starrte hinauf in den wolkenlosen, tiefschwarzen, sternenübersäten Nachthimmel. Ich hätte gern an Matthew gedacht.
Stattdessen dachte ich an Alexia.
Und irgendwie hatte ich auf einmal ein richtig schlechtes Gefühl.
8
»Wo kommst du her? Wo, verdammt noch mal, warst du so lange ?« Noras Stimme bebte, sie zitterte vor Wut und vor mühsam zurückgehaltenen Tränen, mit denen sie seit Stunden kämpfte. Es war nach Mitternacht. Ryan hatte am Samstagvormittag gearbeitet, war direkt danach verschwunden. Mit Noras Auto natürlich. Ohne etwas zu sagen. Sie war weg gewesen, um für das Wochenende einzukaufen, und als sie wiederkam, saß kein Ryan in der Wohnung, und der Autoschlüssel hing nicht an seinem Platz. Sie hatte im Copyshop angerufen und erfahren, dass Ryan um zwölf Uhr gegangen war.
Sie hatte die Einkaufstüten auf den Küchentisch gewuchtet, sich dann in ihr Wohnzimmer gesetzt und hätte am liebsten geheult. Sie verbiss es sich. Sie wollte ihn nicht vertreiben, und sie wusste, dass ihr das mit Tränen und Vorwürfen nur zu leicht gelingen konnte.
Der lange, heiße Tag hatte sich dahingeschleppt. Nora hatte keine Lust gehabt, etwas von den vielen guten Dingen zu essen, die sie gekauft hatte, hatte nur lustlos ein paar Cracker gekaut. Welch ein Glück, dass sie Vivians Einladung zum Grillen nicht angenommen hatte! Denn selbst mit einer festen Verabredung vor Augen – oder gerade dann – wäre Ryan womöglich ohne eine Erklärung verschwunden, und Nora könnte sich bei Vivian den Mund fusselig reden, um seine Abwesenheit zu erklären. Wissend, dass Vivian ihr ohnehin nicht glauben würde. In diesen Dingen hatte sie einen untrüglichen Instinkt.
Irgendwann brach die Nacht herein, und Nora saß noch immer im Wohnzimmer, das Fenster weit geöffnet. Auch als es dunkel wurde, herrschten draußen noch mindestens dreiundzwanzig Grad. Eigentlich war es eine wundervolle Nacht. Man hätte eine Flasche Rotwein öffnen können, man hätte zusammen die Sterne betrachten und sich unterhalten können. Stattdessen saß sie hier mutterseelenallein. Am meisten kränkte es sie, dass er es nicht einmal für nötig hielt, seine Abwesenheit anzukündigen. Ihr zu sagen, dass er fortging, ihr zu sagen, wohin er überhaupt ging. Obwohl sie es sich denken konnte. Vermutlich war er wieder in Swansea bei Debbie. Nora begann diese Frau allmählich zu hassen. Und sie begann auch Ryan zu hassen, aber auf die tief unglückliche Art, mit der man einen Menschen hasst, von dem man Wärme, Zuwendung und Nähe erhofft, aber nicht bekommt. Sie war enttäuscht von ihm und fühlte sich gedemütigt, aber sie konnte nicht aufhören zu hoffen, dass er eines Tages die Rolle in ihrem Leben annehmen würde, in der sie ihn so verzweifelt gerne gesehen hätte: der Mann an ihrer Seite. Ihr Freund, ihr Lebensgefährte.
Den Begriff Ehemann wagte sie schon kaum mehr zu denken.
Er steckte bis zum Hals im Schlamassel, das war klar, und als die Nacht voranschritt und Noras Kummer mehr und mehr in Aggression überging, begann sie sich zu fragen, woher er die Chuzpe nahm, in seiner Lage noch die einzige Hand auszuschlagen, die sich ihm in helfender Absicht entgegenstreckte. Er brauchte fünfzigtausend Pfund, und es gab nur den Weg über seinen Stiefvater, um an die Summe zu kommen, und Bradley Beecroft würde sich absolut nicht überschlagen, ihm aus der Patsche zu helfen. Nora wusste jedoch, dass sie bei Bradley einen Stein im Brett hatte, und sie nahm an, dass auch Ryan das klargeworden war. Ryan hätte sich mit ihr gut stellen, hätte hoffen müssen, dass sie sich bei Bradley für ihn einsetzte. Vielleicht konnte sie ihm das Geld aus den Rippen leiern. Ryan schien sich keine Sorgen zu machen, dass sie sich darum bemühen würde, auch wenn er sie wie einen Fußabstreifer behandelte.
Nora war schließlich so wütend, dass sie, als gegen halb eins in der Nacht endlich die Wohnungstür aufging und Ryan nach Hause kam, alle guten Vorsätze vergaß. Sie hatte ihm keine Vorwürfe machen wollen, aber sie wäre geplatzt, wenn sie jetzt mit einem milden Lächeln über sein mieses Benehmen hinwegging.
Sie schoss auf ihn zu und hätte ihm am liebsten eine geknallt, beherrschte sich aber gerade noch. Stattdessen schleuderte sie ihm genau die Sätze entgegen, die sie unbedingt hatte vermeiden wollen.
»Wo kommst du her? Wo, verdammt noch mal, warst du
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