Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)
Wie lange sollte ich warten?
Wie lange würde er warten?
19
Bran Davies hatte eine Abneigung gegen Fremde, die in die Cardigan Bay kamen, überall herumtrampelten, laut waren und, am allerschlimmsten, Coladosen oder Zigarettenkippen irgendwohin in der Gegend entsorgten. Seine Frau sagte ihm oft, er solle nicht so viel schimpfen und meckern, denn viele ihrer Nachbarn lebten vom Tourismus, arbeiteten entweder in Hotels oder vermieteten Zimmer an Reisende. Trotzdem, Bran stand ihnen misstrauisch gegenüber. Er fand, dass die Menschen insgesamt Stil, gutes Benehmen und den Sinn für angemessenes Verhalten verloren, und er würde nicht aufhören, ihnen zu misstrauen. Egal, was seine Frau sagte.
Er hatte den Mann schon von Weitem gesehen, und er gefiel ihm nicht. Das war nichts Ungewöhnliches, da ihm tatsächlich die meisten Menschen nicht gefielen, aber dieser Typ löste ein Gefühl in ihm aus, das über seine übliche Aversion gegen Fremde hinausging. Er hatte etwas an sich … Bran hätte, wäre er sich nicht lächerlich vorgekommen, gesagt: Er hatte etwas Gefährliches an sich. Zumindest etwas Unheimliches.
Er stand seit geraumer Zeit ziemlich weit vorn an den Klippen, trotzte dem starken Wind und rauchte in hektischen Zügen. Soweit Bran das erkennen konnte, wirkte er ziemlich abgemagert, abgerissen fast, schlampig gekleidet, irgendwie schmuddelig. Er starrte auf einen Punkt, der sich unterhalb von ihm befinden musste. Es war etwas Merkwürdiges an seiner Haltung und an seinem Benehmen, aber Bran hätte nicht genau benennen können, woran das lag. Es standen oft Menschen an den Klippen, Wanderer, die über das Meer schauten, häufig in der Hoffnung, Wale zu entdecken, die manchmal weiter draußen vorbeizogen. Touristen ruhten sich auf dem Hochplateau aus, warteten, dass die Ebbe kam und sie hinuntersteigen und schwimmen konnten. Bran hatte schon Gruppen gesehen, die da vorn picknickten, und natürlich war er, als sie verschwunden waren, zu der Stelle gegangen und hatte argwöhnisch kontrolliert, ob sie Essensreste, Plastiktüten, Bierdosen und Pappteller einfach ins Gras geworfen hatten. Mehr als einmal war das vorgekommen. Er fragte sich, was solche Leute in ihrer Kindheit eigentlich gelernt hatten.
Aber dieser Mann … Das war kein Wanderer. Er hoffte auch nicht, Wale zu sehen. Er genoss nicht das Schauspiel der herandonnernden Flut, das Farbenspiel des Wassers oder überhaupt die Weite und Großartigkeit der Natur ringsum. Selbst auf die Entfernung kam es Bran vor, als könne er seine Anspannung, seine Nervosität spüren. Der Kerl war total durch den Wind, weshalb auch immer. Und wieso glotzte er so beharrlich nach unten?
Er warf seine Kippe über den Klippenrand, zündete sich die nächste Zigarette an, was ihm erst nach mehreren Anläufen gelang. Wegen des Windes, aber auch weil seine Hände zitterten. Bran meinte das jedenfalls zu erkennen.
»Mit dem stimmt irgendetwas nicht«, sagte er zu Robby, seinem braunweiß gescheckten Jagdhund, der neben ihm saß und ihn aufmerksam anblickte. »Hoffentlich plant der nicht den Abflug!«
Robby wedelte mit dem Schwanz.
Einen Selbstmörder hatte Bran noch nie auf den Klippen gesehen, daher wusste er nicht, wie ein solcher sich wohl verhalten würde. Vermutlich seltsam. So wie dieser Mann.
Bran beschloss, sich näher an ihn heranzuwagen.
In einiger Entfernung hatte er ein geparktes Auto entdeckt, einfach mitten auf dem Wiesenweg abgestellt. Gehörte vielleicht diesem Sonderling.
Robby hob den Kopf und bellte. Der Mann an den Klippen zuckte zusammen und sah sich um. Er hatte offenbar bis zu diesem Moment nicht bemerkt, dass er nicht völlig allein hier draußen war. Er starrte Bran an, dann warf er seine eben erst angezündete Zigarette über den Klippenrand und wandte sich um. Bran fühlte sich bestätigt, dass mit diesem Kerl etwas faul war. Warum sonst verließ er die Klippen fast fluchtartig, nur weil er in einiger Entfernung einen alten Mann mit seinem Hund kommen sah?
Er sah ihn in Richtung Auto davongehen. Aha, er hatte sich nicht getäuscht. Der Typ war hierhergefahren und wahrscheinlich nicht nur deshalb, um dann eine halbe Stunde lang an den Klippen zu stehen, zu rauchen und wie gebannt nach unten zu starren. Etwas musste ihn dort sehr beschäftigt haben … Bran wartete, bis er sah, dass das Auto wendete und losfuhr. In ziemlich überhöhter Geschwindigkeit. Der Fremde hatte es plötzlich verdammt eilig, hier wegzukommen.
Bran begab sich neugierig
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