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Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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ich möchte nur …«
    »Entschuldige mich einen Moment«, bat ich. »Ich bin gleich wieder bei dir!«
    So schnell ich konnte, verschwand ich in meinem Schlafzimmer. Ich streifte meinen Jogginganzug ab, schlüpfte in Jeans und einen Pullover, bürstete vor dem Schlafzimmerspiegel meine in alle Richtungen stehenden Haare und puderte meine rote Nase, was sie immerhin nicht mehr ganz so schrill leuchten ließ. Dabei dachte ich nach. Matthew hatte verändert gewirkt. Die Art, wie er die Treppe heraufgelaufen war, wie er sich in die Wohnung gedrängt hatte … Er war immer so zurückhaltend gewesen, immer leicht geistesabwesend, ein Grübler, nicht völlig verhaftet im Hier und Jetzt. Der Matthew, den ich kannte, wäre schon gar nicht erst ohne Ankündigung hier aufgekreuzt. Er hätte die Treppe nicht mit jeweils zwei Stufen auf einmal genom men. Der Hinweis auf meine Erkältung hätte ihn sofort bewogen, taktvoll den Rückzug anzutreten oder zumindest anzubieten, zu einem günstigeren Zeitpunkt wiederzukommen. Der Matthew, den ich eben erlebt hatte, war unkonventioneller, entschlossener und jünger als der, den ich bisher kannte. Bei unserer ersten Verabredung damals hatte ich etwas von ihm gesehen, aber danach nie wieder. Plötzlich dachte ich: Es ist der Matthew aus der Zeit davor. Bevor die Katastrophe passiert ist. Ich habe den Mann gesehen, der er war. Der er eigentlich ist.
    Mit etwas gestärktem Selbstbewusstsein kehrte ich ins Wohnzimmer zurück. Matthew stand noch immer mitten im Raum.
    »Setz dich doch«, sagte ich. »Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?«
    »Im Moment nicht, danke.« Er trat auf mich zu, fasste meine beiden Hände. »Jenna, es ist einfach nichts ohne dich«, sagte er, und er klang auf einmal fast atemlos. »Diese letzten beiden Wochen … Ich habe nur an dich gedacht. Praktisch jede Minute. Ich habe dich entsetzlich vermisst. Ich habe mich andauernd gefragt, was du wohl gerade tust, wie du gerade aussiehst. Wie schön es wäre, mit dir zu reden. Eine Stimmung mit dir zu teilen. In deine Augen zu schauen. Ich wollte dich einfach bei mir haben. Ich will dich bei mir haben. Ich will dich nicht verlieren!«
    »Matthew …«, sagte ich benommen.
    Er unterbrach mich. »Ich weiß, was du sagen willst. Nämlich, dass es so nicht geht, wie es war. Und da hast du absolut recht. Keine Frau könnte so leben. Wie sollst du dich auf einen Mann einlassen, der in der Vergangenheit verharrt? Dessen Leben an einem Augustabend fast drei Jahre zuvor geendet hat. Du hattest recht, als du abgesprungen bist. Aber ich bitte dich, gib mir noch eine Chance!«
    Wieder versuchte ich etwas zu sagen, wieder schnitt er mir das Wort ab.
    »Ich habe nachgedacht. Und ich habe begriffen, dass es so nicht weitergehen kann. Für dich nicht, aber unabhängig davon auch für mich nicht. Ich lebe nicht mehr. Und ich habe es all die Zeit nicht einmal gemerkt. Erst durch dich wurde mir klar, dass ich ins Leben zurückwill. Mit aller Macht. Ich will keinen einzigen Tag mehr verlieren.«
    Ich spürte die Aufrichtigkeit in seinen Worten. Er sagte nicht irgendetwas, nur um mir für den Moment zu gefallen. Er war wirklich hart mit sich ins Gericht gegangen, hatte sich selbst gnadenlos beleuchtet, hatte sich nicht hinter Ausflüchten versteckt. Er hatte sich und sein Leben angesehen und war davor erschrocken.
    »Glaubst du denn, dass du das schaffen kannst?«, fragte ich. »Die Vergangenheit abzuschließen? Dich nicht mehr jeden Tag zu fragen, was wohl aus Vanessa geworden ist? Nicht mehr nach ihr zu suchen? Nicht von Schuldgefühlen gepeinigt zu werden, wenn du dich einer anderen Frau zuwendest?«
    Ich konnte ihm ansehen, dass er es sich mit der Antwort nicht leicht machte. Er wollte mir nichts sagen, was er nicht wirklich fühlte und meinte.
    »Ich kann sicherlich nicht von heute auf morgen ein völlig anderer Mensch sein«, antwortete er schließlich. »Und es wird Momente geben, da werden mich all die offenen Fragen wieder beschäftigen, ich werde grübeln, ich werde die schlimmsten Bilder im Kopf haben, ich werde vielleicht auch mich wieder anklagen, weil ich ein gutes Leben führe und versuche, glücklich zu sein, während Vanessa womöglich ein furchtbares Schicksal erlitten hat. Aber bis jetzt habe ich mich gegen all das nie gewehrt. Im Gegenteil. Ich bin bewusst wieder und wieder um Vanessa gekreist, und wenn ich tatsächlich mal für eine Zeit einfach das Leben, die Sonne, den Wind und das Zusammensein mit dir genossen hatte,

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