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Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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unangenehmen Nachwirkungen: das Stechen im Kopf. Die fast unerträgliche Trockenheit von Mund und Kehle. Corinnes Verstand begann immer klarer zu funktionieren, bloß war sie nicht sicher, ob sie diesen Umstand begrüßen sollte. Zuvor war sie wie durch ein Fieber geglitten, das der Wirklichkeit ihre Schärfe nahm. Die Schärfe, die sich nun in unbestechlicher Klarheit abzeichnete, war von unmenschlicher Grausamkeit: Man hatte sie überfallen. Verschleppt. Man hatte ihr Drogen verabreicht. Man hatte sie wie ein Stück Müll in den Wald gekippt und dort liegen lassen.
    Und nun? Überließ man sie nun einfach ihrem Schicksal? Oder kehrten die Entführer zurück?
    Waren sie am Ende noch in der Nähe?
    Dieser Gedanke jagte Panik durch ihren Körper, ließ sie fast hysterisch werden. Ruckartig drehte sie den Kopf in jede Richtung, gewärtig, das Auto in einiger Entfernung stehen zu sehen und die zwei unheimlichen Typen darin, die sie beobachteten. Aber sie stellte fest, dass sie, zumindest soweit sie das überblicken konnte, allein war. Kein Auto. Keine Männer. Nur tiefer, dichter Wald.
    Die Tränen schossen ihr in die Augen, verzweifelt drängte sie sie zurück. Es musste eine Erklärung geben, Dinge geschahen nie vollkommen grundlos. Man hatte sie nicht getötet, man hatte sie nicht vergewaltigt. Man hatte sie ausgesetzt. Wie ein Haustier, das man loswerden wollte.
    »Bradley«, jammerte sie leise. »Hilf mir doch! Hilf mir!«
    Aber Bradley war weit weg und hatte keine Ahnung, was mit ihr geschehen war. Ob er schon die Polizei verständigt hatte? Sicher hatte er das getan. Irgendwann mussten schließlich Celina und ihre Mutter am Treffpunkt angelangt sein und ihr verlassenes Auto vorgefunden haben. Der Zündschlüssel steckte, die Handtasche lag auf dem Beifahrersitz. Sicher war ihnen das mehr als seltsam vorgekommen. Sie hatten Bradley angerufen, und dieser war mit Sicherheit sofort zur Polizei gegangen. Bei dem Gedanken, dass ihr Verschwinden bereits offiziell sein müsste und dass nach ihr gesucht wurde, entspannte sie sich ein wenig. Allerdings war es ihr völlig unklar, wohin man sie gebracht hatte, und weshalb sollte es für die Polizei klarer sein? Sie waren ziemlich lange mit dem Auto gefahren, sodass kein Suchhund ihre Spur würde aufnehmen können. Zunächst war es Richtung Whitby gegangen, dessen entsann sie sich, aber dann hatte man ihr dieses verdammte Zeug eingeflößt, und von da an verschwamm ihre Erinnerung, verwischten sich die Bilder und die Zeitabläufe.
    Sie versuchte aufzustehen. Sie brauchte mehrere Anläufe, bis es ihr gelang, denn ihre Beine waren weich wie Pudding und knickten immer wieder weg. Sie hielt sich an einem Baum fest, zog sich langsam in die Höhe, lehnte sich mit dem Rücken gegen den rauen Stamm. So ging es. Der Baum stützte sie, und langsam kam wieder Gefühl in ihre Beine.
    Ihr Blick war jetzt klarer als zuvor, und stehend konnte sie auch weiter blicken, aber aus diesen Verbesserungen war kaum ein Trost zu ziehen. Denn nun erkannte sie, dass sie sich offenbar wirklich mitten im tiefsten Wald befand. Bäume und Dickicht. Dickicht und Bäume. Und selbst wenn sie den Wald rasch durchquert hätte, hieß das nicht, dass sie deshalb in eine belebtere Gegend vorgestoßen wäre. Sie wusste von den weiten, endlosen Hochmooren hier oben im Norden Englands. In manchen Gegenden konnte man ewig unterwegs sein, ehe man auf Menschen stieß. Und nichts um sie herum gab einen Hinweis darauf, dass sie sich noch in der Nähe der Zivilisation befand: Weder hörte sie ein Auto brummen, noch vernahm sie das Geräusch einer Motorsäge oder einer Axt. Auch keine Schüsse, die bedeutet hätten, dass zumindest ein Jäger hier herumstreifte. Keine Waldarbeiter, kein Ranger. Nichts, einfach gar nichts. Nur das Geräusch des Windes in den Blättern und das leise Pladdern der Tropfen, die hinuntergeweht wurden. Vögel zwitscherten. Immer wieder raschelte oder knisterte es irgendwo. Der Wald war voller Leben, aber es waren keine Menschen. Niemand, der ihr helfen konnte.
    Und sie fror und hatte Hunger und Durst.
    Und dann kam ihr ein Gedanke, der sie erstarren ließ: Wenn das Ganze ein Irrtum war, wenn sie die Falsche war, die verschleppt worden war – was würde geschehen, wenn die Männer dahinterkamen? Vielleicht gar nichts. Vielleicht kehrten sie aber auch zurück. Vielleicht konnten sie bei dem, was sie vorhatten, niemanden brauchen, der ein zusätzliches Risiko für sie darstellte.
    Sie hatte das Böse

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