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Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal des Fuchses: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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ebenfalls über meinen Schatten springen musste.
    »Ich würde mich sehr freuen«, sagte ich.
    Als wir meine Wohnung verließen und die Treppen hinunterliefen, lag es mir für einen Moment auf der Zunge, ihm von dem seltsamen Fall zu erzählen, der sich in Yorkshire ereignet hatte und an diesem Tag durch die Nachrichten ging: von der Frau, die inmitten der Hochmoore spurlos verschwunden war.
    Ich schluckte es gerade noch hinunter: Im Zusammenhang mit dem noch so verletzbaren und empfindlichen Neuanfang, den wir gerade starteten, wäre es exakt das falsche Thema gewesen.
    8
    Ryan war in einem desolaten psychischen Zustand, schlimmer, als Nora ihn je erlebt hatte. Im Gefängnis war er manchmal sehr deprimiert und mutlos gewesen, und während seiner ersten Tage in Freiheit hatte man ihm die Angst, die ihn beherrschte, die große innere Unsicherheit, angesehen. Er hatte gelitten, nachdem er von dem Besuch bei Debbie zurückgekehrt war; was man ihr angetan hatte, beschäftigte und quälte ihn.
    Aber nie hatte er so zerstört gewirkt wie jetzt.
    Es war später Samstagabend, und sie hatten sich in das Gästezimmer zurückgezogen, das Bradley ihnen zum Schlafen zur Verfügung gestellt hatte. Zum ersten Mal, seit sie einander kannten, saßen sie nebeneinander in einem Bett, beide in ihrer Unterwäsche, denn sie hatten ihre Schlafsachen daheim vergessen. Eine Situation, die sich intim hätte anfühlen können, wäre Ryan nicht so am Boden zerstört gewesen, dass er in Nora nur den alles andere verdrängenden Wunsch auslöste: ihm auf irgendeine Art zu helfen.
    Ihn zu trösten.
    Der Tag war lang gewesen, es war viel geschehen, und zugleich hatten sich die Stunden dahingeschleppt. Sie hatten den Ort aufgesucht, wo Corinne verschwunden war, ein Wiesenstreifen am Rande der Landstraße. Ringsum die grasbedeckten Hochflächen der Moore, ein paar Schafe, die man in der Ferne sah, Einsamkeit, Nässe. Ein grauer Tag unter grauen Wolken. Keine Spur von Corinne. Die Polizei hatte das Auto bereits mitgenommen, um es untersuchen zu lassen. Wenn an dieser Stelle ein Verbrechen geschehen war, so sah man nichts davon. Man spürte nicht einmal etwas. Es war ein Ort wie tausend andere.
    Sie waren weiter bis nach Whitby gefahren, hatten unterwegs bei Dan angerufen und Ryan wegen eines schwerwiegenden Familienereignisses im Copyshop entschuldigt und dann die Arztpraxis, in der Corinne arbeitete, aufgesucht. Bradley hatte ihnen die Adresse genannt, und nach einigem Herumkurven und Suchen hatten sie das Gebäude, das mitten in der Stadt lag, gefunden. Ein schlichtes Haus aus roten Backsteinen, in dem sich unten ein Obstgeschäft befand und im ersten Stock die Gemeinschaftspraxis dreier Ärzte. Das Obstgeschäft hatte geöffnet, die Praxis war samstags geschlossen. Sie hatten an der Fassade hinaufgeblickt.
    »Hierher geht sie jeden Tag«, sagte Ryan, »und in dem Laden kauft sie manchmal Obst, das sie dann Bradley mitbringt.«
    »Bestimmt«, pflichtete Nora bei. Sie liefen ein wenig in der Gegend herum, aber natürlich gab ihnen nichts von dem, was sie sahen, einen Hinweis auf Corinnes Schicksal.
    Als sie gegen Mittag nach Sawdon zurückkehrten, war die Polizei bei Bradley, und Bradley selbst schien vollkommen verstört. Im ersten Moment glaubten Ryan und Nora schon voller Schrecken, es gebe eine schlechte Nachricht, aber dann stellte sich heraus, dass man, was Corinne anging, nach wie vor im Dunkeln tappte. Bradley hatte jedoch von dem Beamten, Detective Sergeant Fuller, soeben erfahren, dass sein Stiefsohn zweieinhalb Jahre lang im Gefängnis von Swansea gesessen hatte und sich erst seit einigen Wochen wieder auf freiem Fuß befand. Er hatte am Vortag während seines ersten Gespräches mit der Polizei die genauen Familienverhältnisse dargelegt, und eher routinemäßig war man bei der Polizei auch der Person des Stiefsohnes, der in Wales lebte und seit bald sechs Jahren keinen Kontakt mehr zu seiner Familie unterhielt, nachgegangen. Dabei hatte man Überraschendes zutage gefördert und war alarmiert. Fuller hatte nun Bradley aufgesucht, um mit ihm über Ryan zu sprechen, und dabei erfahren, dass Ryan noch in der Nacht nach Yorkshire hinaufgefahren war, woraufhin er beschlossen hatte zu warten, bis Ryan wieder im Haus seines Stiefvaters aufkreuzte. Während Bradley noch immer seinen Schock zu verarbeiten suchte, stellte Fuller bereits Ryan die unvermeidliche Frage: »Wo waren Sie gestern früh gegen sieben Uhr?«
    Ryan hatte alle Fragen geduldig

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