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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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seiner Vier-Quadratmeter-Wunderhöhle drei Tuben hervor und hielt sie Anna entgegen. Sie zeigte auf eine Tube mit der Aufschrift »Mega White«. Vielleicht war dies das Geheimnis der beneidenswert weißen Zähne, die selbstverständlich auch den hilfsbereiten Kioskbesitzer auszeichneten.
    »Darf ich Sie zu einem Tee einladen?«, fragte der Mann, nachdem Anna bezahlt hatte. »Mein Deutsch braucht eine Auffrischung.«
    Anna hatte ihre Sprache wiedergefunden. »Sehr gern«, sagte sie und zeigte grinsend auf ihr Klopapier. »Aber später, in Ordnung?«
    Die schmale Seitengasse badete in Licht, als sie wieder aus ihrem Zimmer herunterkam. Die Winterkälte des Morgens war milden Temperaturen gewichen, denen Anna mit ihrem türkisfarbenen Salwar Kameez die Ehre erwies. Einige Jungen im Kindergartenalter tobten mit einem Fußball durch die Gasse und krakeelten ihre Lebensfreude in die Welt. Auch der Kioskbesitzer war seiner schattigen Höhle entflohen und hatte sich einen Hocker vor den Laden gestellt. Neben ihm lehnte Ramesh, ohne Jacke, aber noch immer mit der Mütze auf dem Kopf.
    »Toll sehen Sie aus. Warten Sie, ich hole den Tee«, kommentierte der Kioskbesitzer Annas Aufzug und verschwand in der dunklen Türöffnung des Hauses gegenüber. Ein paar Minuten später tauchte er mit einem Hocker in der Hand und einer kleinen Frau im Schlepptau wieder auf. Die Frau balancierte ein Tablett mit vier Teegläsern und bot sie reihum an, bevor sie selbst ein Glas nahm und Anna über den Rand scheu anlächelte.
    »Ich möchte Ihnen meine Frau Kopila vorstellen. Sie heißt Sie willkommen, kann es Ihnen aber leider nicht selbst sagen, da sie nur Nepalesisch spricht. Ich heiße übrigens Uma. Umakant, um genau zu sein. Und der dort« – er zeigte stolz auf einen Fußballspieler mit entzückenden, vor Anstrengung rot leuchtenden Segelohren – »ist mein Sohn Siddhartha. Kushum, die Ältere, ist in der Schule.«
    Anna stellte ihr Glas beiseite und legte die Handflächen aneinander, wie sie es bei den Einheimischen beobachtet hatte. »Ich bin Anna. Annapurna, um genau zu sein.« Zum ersten Mal nahm sie den von ihrer Mutter gewählten Namen für sich in Anspruch. Erstaunlicherweise fühlte es sich genau richtig an.
    »Annapurna?« Uma zog die Brauen in die Höhe.
    Anna nickte.
    »Ein ungewöhnlicher Name für eine Europäerin«, bemerkte er, ließ es aber auf sich beruhen. Sobald die Teegläser geleert waren, sammelte Kopila sie ein und ging wieder ins Haus. Ramesh verabschiedete sich ebenfalls, seine Pflichten riefen ihn in die Lodge. Anna setzte sich auf den Hocker, lehnte sich gegen die Hauswand und schloss die Augen. Es war erstaunlich, wie viel Kraft die Sonne trotz des weit vorangeschrittenen Jahres noch besaß – immerhin befand sich Kathmandu in beinahe anderthalbtausend Metern Höhe. In Darjeeling war es wesentlich kälter gewesen.
    Der Mann namens Uma beschäftigte sie. Er wirkte ausgesprochen seriös, und dass er ihr sofort seine Familie vorgestellt hatte, beruhigte sie. Sie überlegte, ob sie ihn ins Vertrauen ziehen sollte, auch wenn es übereilt sein mochte. Aber war es das tatsächlich? Hier schien man schnell Freundschaften zu schließen, und Uma mit seinen Deutschkenntnissen konnte sich als ein Glücksfall herausstellen. Sie hatte sich schon gefragt, an wen sie sich überhaupt wenden sollte, denn Deutsch und Französisch halfen ihr in diesem Land nicht weiter.
    Anna öffnete die Augen und räusperte sich. »Darf ich Sie etwas fragen?«
    »Natürlich.«
    »Warum sprechen Sie so gut Deutsch? Wo haben Sie es gelernt?«
    »Das ist eine lange Geschichte, aber ich kann sie abkürzen: Ich habe mehrere Jahre als Assistent eines deutschen Fotografen gearbeitet. Wir sind gemeinsam durch Indien gereist und haben uns gegenseitig unsere Sprachen beigebracht.«
    »Toll«, sagte Anna bewundernd. Dann fasste sie sich ein Herz. »Wir kennen uns zwar erst seit ein paar Minuten, aber ich benötige Hilfe. Die Sache hängt übrigens mit dem Namen Annapurna zusammen.«
    »Ich dachte mir schon, dass eine Geschichte dahintersteckt. Erzählen Sie sie mir, dann sehen wir weiter. Wenn ich Ihnen helfen kann, werde ich es gern tun.«
    »Seid ihr Nepalesen alle so?«, platzte Anna heraus.
    »Was meinen Sie mit ›so‹?«
    »So nett, so hilfsbereit.« Anna suchte nach Worten. »So liebenswert.«
    Er freute sich offensichtlich über ihre Worte. »Nun, alle bestimmt nicht«, sagte er lächelnd. »Aber ich danke Ihnen für das Kompliment. Für die

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