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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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meisten Nepalesen sind Sie nämlich etwas Besonderes: ein Gast. Gäste haben bei uns den gleichen Stellenwert wie ein Gott. Und nun schießen Sie los. Sie haben mich neugierig gemacht.«
    Es dauerte lange, bis Anna die Geschichte ihrer Mutter erzählt hatte. Umakant musste sie einige Male unterbrechen, um seine Kunden zu bedienen, aber auch Anna sorgte für Verzögerungen. Immer wieder verhaspelte sie sich, und zwei- oder dreimal zwang ein Kloß im Hals sie zum Pausieren. Als sie ihren Bericht beendet hatte, fühlte sie sich freier, das Atmen fiel ihr wieder leicht.
    »Wie traurig, dass Sie Ihren Vater nie kennengelernt haben«, sagte Umakant. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Sie waren sicher selbst erst ein kleines Kind, als meine Eltern in Kathmandu lebten, aber vielleicht kennen Sie Leute, die damals in ihrem Alter waren? Leute, die in der Freakstreet gearbeitet haben? Ich würde gern mit ihnen über die Hippies sprechen, um zu verstehen, was meine Mutter und Sylvain hier suchten. Mit etwas Glück erinnert sich sogar jemand an sie.«
    »Da müssten Sie eine Menge Glück haben. Aber versuchen sollten wir es trotzdem.«
    Anna strahlte. »Das heißt, Sie kennen jemanden?«
    »Natürlich, ich lebe schließlich in diesem Viertel. Ich werde mich umhören. Bestimmt hat der eine oder andere Zeit und Lust, sich mit Ihnen zu unterhalten.«
    »Wie wunderbar! Vielen, vielen Dank!«
    »Nichts zu danken. Es ist mir eine Ehre, der Göttin der Fülle zu helfen.«
    »Göttin der Fülle?«
    »Annapurna. Wussten Sie nicht, dass Sie den Namen einer Göttin tragen? Annapurna ist die nahrungsspendende Göttin.«
    »Ich wusste, dass Annapurna eine Göttin ist, aber nicht, welche. Ob meine Mutter ihre Bedeutung kannte?«
    »Diese Frage vermag ich nicht zu beantworten.«
    In dem Moment wirbelte ein etwa achtjähriges Mädchen heran und fiel Uma um den Hals. Als sich die Kleine von ihm löste, musterte sie Anna neugierig und streckte ihr dann höflich die Hand entgegen. »My name is Kushum.« Sofort wirbelte sie weiter, zum Haus hinüber. Zwei Minuten später steckte sie ihren Kopf aus einem der Fenster im ersten Stock und rief ihrem Vater etwas auf Nepalesisch zu. Uma erhob sich. »Das Essen ist fertig, ich gehe besser hinauf. Sehen wir uns später?«
    »Auf jeden Fall. Warten Sie, mir fällt noch etwas ein. Wenn Sie Ihre Freunde besuchen, könnten Sie sie nach einem Deutschen namens Achim Bendig fragen? Er müsste jetzt etwa sechzig Jahre alt sein. Vielleicht lebt er noch in Kathmandu.«
    »Natürlich.« Uma fischte seinen verschwitzten Sohn aus der Meute der kleinen Fußballspieler heraus und wandte sich zum Gehen. »Bis später dann. Ich wünsche Ihnen einen spannenden Tag in Kathmandu!«

[home]
35
    Z um ersten Mal seit vielen Wochen konnte Tara die Nacht durchschlafen. Sie hatte weder die Gastgeberin ins Bett kommen hören noch die Ankunft des Hausherrn und eines weiteren Mannes bemerkt, der ebenfalls Schutz unter dem gastfreundlichen Dach der Wohnungsbesitzer gefunden hatte. Die Welt erschien ihr warm und wohlgesinnt, als sie am nächsten Morgen die Beine aus dem Bett schwang, und sie nahm es als gutes Zeichen, dass sie von ihrer Schwester geträumt hatte, einen lebhaften, hellen Traum.
    In der Küche bekam Tara von der Gastgeberin eine Tasse Milchtee und einen Teller Dhal Bhat, dann wurde sie ins Wohnzimmer geschickt.
    »Beeil dich, Mädchen, gleich werden die Nachrichten gesendet. Ich komme in einer Minute nach.«
    Tara gehorchte verwundert. Die Nachrichten wurden gesendet? Sie hatte nicht die geringste Idee, was damit wohl gemeint war. Neugierig öffnete sie die Tür zum Wohnzimmer. Achal und ein älterer Herr, wahrscheinlich der Mann der Grauhaarigen, saßen auf dem prächtigen Sofa, drei jüngere Männer und eine Frau von etwa fünfzig Jahren hatten es sich auf dem abgenutzten Teppich bequem gemacht. Alle verfolgten das Geschehen im Fernseher. Tara suchte sich leise einen freien Platz und ließ sich im Schneidersitz nieder. Sie wusste, was ein Fernseher war, aber mehr als einen kurzen Blick hatte sie noch nie auf das bunte Gewimmel hinter der Glasscheibe werfen können. In Raato Danda und den umliegenden Dörfern gab es keinen Strom und demzufolge auch keine Fernseher.
    Im Moment berichtete eine hübsche Frau von brutalen Übergriffen der Maoisten, ihrer Wortwahl zufolge nichts anderes als Verbrecher. Dann wurden Bilder von zwei toten Polizisten vor einem Haus gezeigt, zerfetzt von Gewehrkugeln. Eine schreiende Frau, ein

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