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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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kleines Kind an ihrem Sari festgekrallt, wurde von den Toten fortgezogen.
    Nach den verstörenden Bildern erschien wieder die hübsche Frau auf dem Bildschirm und erzählte von Dingen, die Tara so fern waren wie der Mond. Um fremde Länder ging es, um Wirtschaftszahlen und ein Zugunglück irgendwo in Indien. Sie hörte nicht mehr hin, zu sehr beschäftigten sie die Bilder der Toten. Obwohl ihr jüngerer Bruder Biraj angeschossen worden war, hatte sie den Gedanken an Tod und Gewalt bisher weit von sich geschoben. Die Maoisten wollten doch das Gute, aber nun nannte die Frau sie Verbrecher und Mörder. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Konnte Bahadur, ihr ernster und rechtschaffener Bruder, ein Mörder sein? Biraj und all die anderen aus dem Dorf? Waren sie Mörder? Ihre Kehle schnürte sich zu. War Sarung ein Mörder?
    Sie warf einen hilflosen Blick zu Achal. Auch er? Und die anderen in diesem Raum? Hatten sie alle schon getötet? Achal fing ihren Blick auf und schien den Tumult in ihrem Kopf zu spüren. Er erhob sich von seinem Ehrenplatz auf dem Sofa und kniete neben ihr nieder.
    »Ist dir nicht gut?«
    »Nein«, stammelte sie.
    »Möchtest du einen Spaziergang machen? Ich zeige dir die Stadt, während wir reden. Die Nachrichten haben dich ziemlich aufgewühlt, nicht wahr?«
    Tara nickte. Froh, der Enge der Wohnung zu entkommen, folgte sie Achal auf die Straße, wo sich einige Kinder im Straßenstaub um ein Spielzeug balgten. Achal erklärte ihr, dass sie sich im Jaisidewal-Viertel südlich des Stadtzentrums befanden. Er bat sie, sich auf den Weg zu konzentrieren, und wies sie auf Orientierungspunkte hin: ein Teehaus mit blaugestrichener Eingangstür, ein Schrein für den affenköpfigen Gott Hanuman, ein Barbierladen. Nachdem sie mehrmals die Richtung gewechselt hatten, öffnete sich die Gasse zu einem Platz. Tara hielt den Atem an: Im Zentrum des Platzes erhob sich ein riesiger Tempel. Eine Stufenpyramide aus rosenfarbenen Ziegeln türmte sich bis auf zehn Meter Höhe oder mehr. Auf der obersten Plattform der Pyramide stand der Raum für den Schrein, und über diesem gipfelten drei übereinander angeordnete Dächer.
    »Das ist der Jaisidewal-Tempel«, erklärte Achal. »Hast du dir den Weg vom Haus bis hierher eingeprägt?«
    Tara bejahte, noch ganz gefangen in dem prächtigen Anblick.
    »Gut. Solltest du dich in Kathmandu verlaufen, frag nach diesem Tempel, jeder kennt ihn. Sobald du hier bist, findest du zurück. Für den Fall, dass es trotzdem schiefgeht, schreibe ich dir die Telefonnummer unserer Gastgeber auf. Dann rufst du uns an, und wir holen dich ab, wo auch immer du bist.«
    »Vielen Dank«, sagte Tara.
    »Wollen wir uns auf die Stufen setzen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, führte er Tara zum Tempel, wo sie sich auf einer der oberen Stufen niederließen. Der Hund streckte sich neben ihr in der Sonne aus. Sie hatte ihn in der Wohnung lassen wollen, doch er hatte einen derartigen Aufruhr veranstaltet, dass ihr nichts anderes übriggeblieben war, als ihn mitzunehmen.
    »Was ist mit dir?«, fragte Achal, als sie saßen.
    Tara knetete nervös ihre Finger. »Diese Nachrichten«, sagte sie schließlich stockend, »die waren echt, oder? Die Maoisten haben tatsächlich die Polizisten umgebracht?«
    »Ja.«
    »Warum? Was haben sie euch getan? Hast du die Frau des Polizisten gesehen? Sie war so verzweifelt! Nun steht sie ganz allein da. Das kann doch nicht richtig sein.«
    »Es herrscht Krieg, Tara. Im Krieg sterben Menschen. Ich weiß nicht, ob diese Polizisten uns persönlich etwas getan haben, wie du es bezeichnet hast, aber sie stehen auf der anderen Seite, also sind sie unsere Feinde. Wer sich auf eine Seite stellt, egal welche, muss damit rechnen, zu sterben.«
    »Auch meine Brüder«, flüsterte Tara.
    »Ja, auch die. Und vielleicht auch du. Auch Sarung. Und ganz sicher auch ich, aber ich kenne den Preis und bin bereit, für diese Sache zu sterben – und zu töten. Meine Kinder sollen in einem anderen Nepal aufwachsen. In einem Land, das ihnen die Möglichkeit gibt, zu lernen, zu arbeiten, etwas Großes zu werden, wenn sie das Zeug dazu haben.«
    »Du hast Kinder?«
    »Zwei.« Mehr wollte Achal offensichtlich nicht zu dem Thema sagen, aber Tara las aus seiner Miene, dass der Gedanke an die Kinder ihm weh tat.
    »Die Frau im Fernsehen hat gesagt, es sei ein Hinterhalt gewesen. Das ist Mord, aber kein ehrlicher Kampf«, sagte Tara.
    »Ehrlich?«, wiederholte Achal, und Tara erschrak über die

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