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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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lediglich das Erdgeschoss. Dunkel wie eine Höhle war es, von den unter Bambuskörben versteckten Glühbirnen kaum erhellt, die Decken nicht einmal zwei Meter hoch, die Lehmwände mit grünen Tüchern abgehängt. Nepalesen hatten sich nicht ins Café verirrt, da ihnen die Atmosphäre nicht behagte, und so blieben die Hippies unter sich. Sie waren ein bunter Haufen, sagte Ram, genügsam und ziemlich lustig. Der Snow Man bot gerade Platz für zwanzig Gäste, aber beinahe jede Nacht versammelten sich hundert und mehr Menschen auf der Straße direkt vor seinem Laden, spielten Gitarre, kifften, tanzten barfuß durch den Staub. Für die wenigen Autos der Stadt gab es kein Durchkommen, aber die Bewohner Kathmandus übten sich in Toleranz und machten einen Umweg. Auf Annas Frage, ob er auch Freunde unter den jungen Europäern und Amerikanern gefunden habe, antwortete Ram, dass keine echten Freundschaften entstanden seien. Die Hippies waren in ihrer eigenen Welt gefangen, und es gab nur wenig Berührungspunkte zwischen ihnen und den Nepalesen. Ram war damals bereits Vater gewesen und hatte die Verantwortung für eine Familie zu tragen, während die Hippies einfach in den Tag hineinlebten. Nicht wenige drifteten später in die Drogenabhängigkeit ab, und die Botschaften hatten alle Hände voll zu tun, die Gestrandeten in ihre Heimatländer zurückzusenden.
    Die drei Studentinnen am Nachbartisch machten ein Zeichen, und Ram entschuldigte sich, um zu kassieren. Uma schickte seine Kinder, die schon eine ganze Weile gelangweilt auf ihren Stühlen herumgerutscht waren, wieder zu ihrer Mutter zurück. Nachdem die Studentinnen gegangen waren, durchwühlte Ram seine Schreibtischschublade, bis er die Stirn runzelte und Uma etwas zurief.
    »Ram möchte wissen, ob deine Mutter und dieser Franzose eventuell Spitznamen hatten«, übersetzte Uma.
    »Meine Mutter wurde Babsi genannt. Ob Sylvain auch anders gerufen wurde, kann ich dir nicht sagen. Sein Familienname war Meunier, vielleicht hilft das weiter?«
    Uma antwortete Ram, doch Anna konnte lediglich die Namen ihrer Eltern heraushören. Gespannt beobachtete sie Rams Miene. Eine steile Falte hatte sich zwischen seinen Brauen gebildet, und sie hörte beinahe, wie die Zahnräder seiner Erinnerung ineinandergriffen. Zwei Minuten später setzte er sich wieder zu ihnen und legte ein abgegriffenes Fotoalbum auf den Tisch. Nach kurzem Suchen schob er es zu Anna hinüber und tippte mit dem Finger auf eine Personengruppe neben dem blaugestrichenen Eingang des damaligen Snow Man. Insgesamt waren bestimmt dreißig Menschen auf dem Foto abgebildet. Anna hielt sich das Album dicht vor die Augen. Die Farben des alten Fotos waren verblichen und die Abgebildeten so klein, dass Anna keine Gesichtszüge ausmachen konnte. Die bezeichnete Personengruppe bestand aus zwei Männern und einer Frau. Die mit dem Rücken zur Kamera stehende Frau und einer der Männer waren eher klein und dunkelhaarig, während der dritte den Türsturz des Café-Eingangs in Augenhöhe hatte. Seine dunkelblonden Haare hingen ihm lang und glatt bis weit über die Schultern. Die drei waren ins Gespräch vertieft und hatten den Fotografen offensichtlich nicht bemerkt.
    Anna legte das Album wieder auf den Tisch. »Ich weiß nicht, ob sie es sind«, sagte sie zweifelnd.
    Ram tippte erneut auf die Frau. »This is Babsi«, sagte er bestimmt und wandte sich dann an Uma.
    Uma übersetzte: »Bärbel hatte ihm nichts gesagt, aber der Name Babsi kam ihm bekannt vor. Er ist sich ganz sicher, dass sie es ist.«
    Anna zweifelte noch immer. Die in ein grünes Tuch gehüllte Frau hätte jede Frau sein können. Plötzlich stutzte sie. Das grüne Tuch! Ingrid hatte es explizit erwähnt, und nicht nur das: Anna hatte dieses Tuch bereits in den Händen gehalten. Es hatte mit den anderen Erinnerungsstücken in der Kommode ihrer Mutter gelegen.
    »Ram sagt, der kleinere der beiden Männer sei ein Franzose und er und Babsi seien unzertrennlich gewesen. Der Franzose ist ihm recht gut im Gedächtnis geblieben, weil er sich bemüht hatte, ein paar Brocken Nepalesisch zu lernen und durch seine Ernsthaftigkeit aus der Masse der Hippies herausstach.«
    Annas Finger zitterten, als sie über die winzige Gestalt strich. Dies war also ihr Vater. Sie hätte schreien mögen, schreien und heulen und lachen gleichzeitig. Endlich hielt sie ein Foto von ihm in den Händen, vielleicht das einzige Bild, das sie jemals zu sehen bekäme, und es gab nicht mehr her als eine

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