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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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ging an der Spitze der kleinen Gruppe, während Babsi und Sylvain das Schlusslicht bildeten. Achim sah sich nicht um, aber er konnte Babsis Anspannung beinahe körperlich spüren. Seit dem Morgen hatte sie kaum ein Wort gesprochen, aber er rechnete ihr hoch an, dass sie nicht im letzten Moment versuchte, Sylvain zurückzuhalten. Ihm war bewusst, dass die nächsten Wochen für sie eine echte Prüfung darstellten, und hatte Vorkehrungen getroffen, um sie davor zu schützen, allzu viel Trübsal zu blasen: Einige seiner Freunde würden sich um sie bemühen und möglichst unauffällig ein wachsames Auge auf sie haben. Achim hegte insgeheim die Hoffnung, dass sich Babsi, nun, da sie ausnahmsweise einmal auf sich allein gestellt war, von Sylvain emanzipieren, stärker und unabhängiger werden würde und endlich lernte, eigene Entscheidungen zu treffen. Zum Beispiel, Sylvain zu verlassen und mit ihm, Achim, ein Leben in Kathmandu aufzubauen.
    Achim beschleunigte unwillkürlich seine Schritte. Seine Hände ballten sich um den Tragegurt seiner Tasche. Warum nur träumte er noch immer davon? Babsi war nicht in ihn verliebt, war es nie gewesen, und er würde es nicht erzwingen können – ganz abgesehen davon, dass er das auch nicht wollte. Er würde keinen Keil zwischen Babsi und Sylvain treiben, niemals. Achims Finger lösten sich langsam wieder. Es ist, wie es ist, dachte er fatalistisch.
    So gut sich Babsi in den letzten Tagen gehalten hatte, so bitter wurde der Abschied. Achim stand unbehaglich ein Stück entfernt, als sie sich mit herzzerreißendem Schluchzen an Sylvain klammerte, und auch die beiden Nepalesen wussten nicht, wohin sie schauen sollten. Derartige Gefühlsausbrüche waren ihnen fremd. Endlich übergab Sylvain Babsi sein Abschiedsgeschenk, endlich konnte auch Achim Babsi in die Arme nehmen.
    »Sei tapfer«, flüsterte er ihr ins Ohr, und dann, endlich, waren sie unterwegs.

[home]
45
    U ngefähr zu Beginn der zweiten Woche entluden sich die Spannungen zwischen Moon und Sylvain zum ersten Mal. Achim hatte zwar bemerkt, dass sich die beiden seit einigen Tagen nicht grün waren, doch dass es so schlimm stand, hatte er nicht vermutet.
    Vor dem letzten Anstieg des Tages legten sie an einem Chautari eine Pause ein, und Sylvain und Moon hatten erst gescherzt und gefrotzelt, dann war der Ton schärfer geworden, ein Wort hatte das andere gegeben, und als Achim den Ernst der Lage endlich begriff, war es bereits zu spät. Die beiden Kontrahenten standen sich gegenüber wie zwei kläffende Köter.
    »Du denkst nur an dich!«, keifte Sylvain gerade. »Dir ist doch egal, ob ich erkältet bin und mir jeder Schritt dreimal so schwerfällt wie dir. Alle müssen hinter dir herlaufen, alles muss nach deinem Kopf gehen.«
    Moons Fäuste zuckten, doch bevor er handgreiflich werden konnte, sprang Ganesh zu seinem Freund und ergriff seine Arme. »Natürlich«, konterte Moon. »Ich bin derjenige, der sich hier auskennt, nicht du.«
    »Dann solltest du vielleicht einmal darüber nachdenken, dass ich derjenige bin, der dein Essen und deine Unterkunft bezahlt.« Mit diesen Worten drehte sich Sylvain um, schnappte seinen Rucksack und erklomm die ersten Stufen zu einem etwa zweihundert Meter über ihnen thronenden Dorf.
    Moon riss sich von Ganesh los und wollte Sylvain folgen, doch Achim verstellte ihm den Weg und zog ihn zurück auf den Chautari. Mit sanftem Druck zwang er den Nepalesen, sich zu setzen, und ließ sich dann neben ihm nieder. »Ich glaube, wir müssen etwas klären«, sagte er.
    Eine halbe Stunde später hatte er sein Ziel erreicht. Moon gab zu, dass er Sylvain für einen Schwächling hielt und ihm deshalb eine Lektion erteilen wollte. An die Erkältung hätte er gar nicht gedacht, schließlich sei das keine schlimme Krankheit.
    »Aber eine, die dir Kraft raubt, du weißt es doch selbst«, bemerkte Achim.
    Moon senkte zerknirscht den Kopf.
    »Ja«, sagte er leise. »Das weiß ich.«
    »Also ist da noch mehr?«
    Moon schwieg.
    »Hast du doch Probleme damit, von Sylvain Geld anzunehmen? Oder von mir?«, fragte Achim. Es war ein Schuss ins Blaue, aber er traf.
    Moon holte tief Luft. Dann hob er den Kopf und sah Achim gerade ins Gesicht. »Es ist nicht leicht, arm zu sein«, sagte er einfach.
    Achim massierte seine Stirn. Das war es also: Moons Stolz war verletzt und hatte sich ein Ventil gesucht. Es war Achim zwar nicht klar, warum sein Zorn ausgerechnet Sylvain getroffen hatte und nicht sie beide, andererseits war es

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