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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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zuziehe, einen Verkehrsunfall habe oder meinetwegen heute Nachmittag auf dem Weg zurück ins Tal in eine Schlucht stürze. Denkst du nie darüber nach?«
    »Nie. Ich bin unsterblich.«
    Sylvain setzte sich mit einem Ruck auf und starrte Achim ins Gesicht. »Das meinst du nicht ernst«
    »Was glaubst du?« Sylvains Fassungslosigkeit amüsierte Achim. »Aber zurück zu euch. Ich denke, ich kann dein Dilemma nachvollziehen. Soll ich mit Bärbel darüber sprechen? Sie vertraut mir und wird mir zuhören.«
    »Nein, das möchte ich nicht.«
    »Und warum nicht? Sei doch nicht dumm und nimm meine Hilfe an. Ich sehe es genauso wie du: Sie muss lernen, ein wenig fester auf den eigenen Beinen zu stehen und sich nicht ständig mit Zweifeln zu quälen. Du liebst sie schließlich.«
    »Lach nicht, ich habe sogar schon darüber nachgedacht, sie zu heiraten.«
    »Was?« Achim fuhr aus seiner bequemen Position auf.
    »Himmel, jetzt tu nicht so schockiert. Menschen, die sich lieben, heiraten manchmal.«
    Achim räusperte sich. »Hippies nicht.«
    »Ich bin kein Hippie. Du etwa?«
    »Habe nie darüber nachgedacht. Nein, eher nicht.«
    »Na also.«
    Sie legten sich beide zurück ins Gras und genossen die wärmende Wintersonne. Der Wind trug das heisere Protestgebrüll von Wasserbüffeln herüber, vermischt mit den ärgerlichen Anfeuerungsrufen ihres Besitzers, der vergeblich versuchte, die Tiere zur Arbeit vor dem Pflug zu animieren. Am Himmel segelte ein Schwarzmilan in langgezogenen Achten. Plötzlich fuhr er auf einen kleineren Vogel hinab. Ein geschicktes Manöver rettete den kleinen vor dem sicheren Tod, und sofort schraubte sich der Greifvogel nach oben und nahm seine rastlosen Runden wieder auf. Sylvain sang leise ein Lied:
    »L’oiseau que tu croyais surprendre
    battit de l’aile et s’envola –
    l’amour est loin, tu peux l’attendre;
    tu ne l’attends plus, il est là!«
    »Die Melodie kommt mir bekannt vor. Was ist das?«, fragte Achim träge.
    »Opernweisheit«, sagte Sylvain.
    Sie verfielen wieder in faules Schweigen. Es war alles gesagt.
     
    »Akkim?«
    Achim schlug erschrocken die Augen auf, als sich eine Hand auf seinen Arm legte und ihn leicht schüttelte. Direkt über ihm schwebte Moons schmales Gesicht, das so gar nicht zu seinem Namen passen wollte. Er schüttelte Moons Hand ab und rieb sich die Augen. »Habe ich lange geschlafen?«
    Moon wiegte den Kopf. »Es ist immer noch Mittag. Hast du Hunger?«
    »Wie ein Bär. Wo ist Sylvain?«
    »Pinkeln.« Moon ließ sich im Schneidersitz neben Achim nieder und breitete auf einem Tuch seine Schätze aus: Fünf hartgekochte Eier, eine zerbeulte Blechschüssel mit Reis, eine weitere mit wässriger Linsensuppe und zwei Äpfel. Daneben stellte er eine Thermoskanne und drei Blechtassen. »Das Geschirr und die Kanne muss ich der Bäuerin nach dem Essen zurückbringen«, erklärte er beiläufig und pellte ein Ei.
    »Du bist wirklich gut darin, Sachen aufzutreiben«, sagte Achim anerkennend und schenkte sich einen Becher mit dampfend heißem Schwarztee ein.
    Sylvain gesellte sich zu ihnen. Auch er lobte Moon für seine Findigkeit, was den jungen Nepalesen sichtlich freute. Mit gutem Appetit vertilgten sie das einfache Mahl, dann trollte sich Moon, um die geliehenen Sachen zurückzubringen und das Essen zu bezahlen. Als er zurückkam, hatte Achim bereits ein Chillum gestopft und reichte es herum. Moon erklärte ihnen, wie das Bewässerungssystem der sich über die Berghänge erstreckenden Terrassenfelder funktionierte, und Achim stellte einmal mehr belustigt fest, wie leicht die Verständigung klappte, wenn man nur wollte. Sowohl er als auch Sylvain hatten mittlerweile ausreichend Nepalesisch und sogar Newari, die Sprache des Tals, aufgeschnappt, um die wichtigsten Dinge regeln zu können. Moon selbst wiederum hatte zwar nie eine Schule von innen gesehen, sich aber im Umgang mit den anderen ein passables Englisch angeeignet. Er war enorm wissbegierig und setzte momentan seinen gesamten Ehrgeiz daran, Deutsch zu lernen, mit durchwachsenem Ergebnis. Die Aussprache des Deutschen machte ihn mindestens genauso verrückt wie Achim die Aussprache des Nepalesischen, ganz abgesehen von der vertrackten Grammatik. Doch wenn er, Sylvain und Moon zusammensaßen, gab es kaum Probleme, notfalls reichte auch eine Aneinanderreihung von Hauptwörtern. Und wenn Moon ihn Akkim nannte, weil das ›ch‹ ihm unmöglich war, wer scherte sich darum?
    Moon klopfte die aufgerauchte Chillumpfeife aus.

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