Im Tal des Schneeleoparden
besser bewacht als der König. Mächtige Männer in Kathmandu hielten ihre schützenden Hände über ihn und machten ihn unangreifbar. Also konzentrierten sich die Männer des Dorfes auf seine Handlanger. Immer wieder zogen sie aus, die Fallen der Wilderer zu vernichten oder ihnen, wenn sie zu spät kamen, die Beute abzujagen. Durch den Herrn der Vögel, der in Kathmandu die Ohren aufhielt, erfuhren sie zuverlässig über die geplanten Mordzüge der Wilderer und störten Achim Bendigs dunkle Geschäfte empfindlich. Leider nicht empfindlich genug: Die Wilderei prosperierte, zu viele Männer standen in Achims Diensten und trugen dazu bei, die Wildtierpopulationen zu dezimieren.
Allmählich verklang der heiße Schmerz der ersten Monate und Jahre und verwandelte sich in ein dumpfes, kaum wahrnehmbares Pochen. Das Leben ging weiter, und immer seltener stellten sie sich den Wilderern. Auch der Pangje, der nie wieder geheiratet hatte, wurde müde, und wenn nicht dringende Erledigungen ihn nach Kathmandu zwangen, zog er es vor, sein Tal nicht zu verlassen. Die Zeit hatte sein Verlangen nach Rache abgeschliffen, wie der Wind die Felsen abschleift, sie rundet und schließlich zu Staub zerbröselt. Er war nun achtundfünfzig Jahre alt und freute sich auf einen ruhigen Lebensabend im Kreise seiner Kinder, Enkel und Freunde.
Doch dann traf er Tara, das mutige Sternenmädchen auf der Suche nach seiner Schwester, und die alte Wunde brach wieder auf. Er floh aus dem Rebellenlager, lodernd vor Wut über die neuerliche Grausamkeit Achims den Schwestern gegenüber. Zu Hause angekommen, entschieden die Männer und Frauen des Dorfes, im Winter einen weiteren Vorstoß zu wagen, um Achim endlich das Handwerk zu legen.
Niemals hätte der Pangje geahnt, wie schnell und furchtbar sich die Dinge entwickeln würden. Er war nicht vorbereitet, als Achim vor den Toren seines Heimattals auftauchte, die unbekannte Tochter als Geisel und Druckmittel mit sich zerrend, um ihr Leben gegen seines zu tauschen.
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N ach Achims Flucht aus dem Zelt überstürzten sich die Ereignisse. Der Pangje kümmerte sich umgehend um Tara. Achims ungezielter Schuss hatte sie in die rechte Schulter getroffen. Es gelang dem Pangje und Dadul, die Blutung zu stoppen, und noch während sie um das Leben des Sternenmädchens rangen, traf Dzangbu mit den Pferden ein. Er galoppierte sofort in Richtung Kagbeni davon, um einen Hubschrauber anzuforden. Einige der anderen Männer bestiegen die restlichen Pferde und begannen, das Gebiet nach Achim und seinen flüchtigen Helfern zu durchkämmen.
Um die Mittagszeit kündigte ohrenbetäubendes Dröhnen den Hubschrauber an. Die verbliebenen Männer hatten bereits das Lager beiseitegeräumt, um einen Landeplatz zu schaffen. Wenig später hob der Hubschrauber mit dem Pangje und Tara an Bord wieder ab. Der Arzt, ein stiller Nepalese von etwa fünfzig Jahren, konnte sie beruhigen: Taras Zustand wirkte schlimmer, als er tatsächlich war, allerdings musste sie schnell operiert werden, damit der Arm gerettet werden konnte.
Der Pangje hatte den Platz neben dem Piloten eingenommen und entdeckte Anna und Kim, wenige Minuten nachdem sie aufgestiegen waren. Kim hatte sich Anna auf den Rücken gebunden und taumelte talwärts. Selbst aus der Entfernung erkannte der Pangje, dass er am Ende seiner Kräfte war. Der Pilot suchte und fand einen Landeplatz ganz in der Nähe. Im Gegensatz zu seiner Gelassenheit bei Taras Erstversorgung wurde der Arzt nun hektisch. Anna delirierte, ihr Zustand war kritisch. Da sie nicht ausreichend akklimatisiert gewesen war, hatte der lange Aufenthalt in der Höhe mit dem damit verbundenen Sauerstoffmangel sowohl ein Lungen- als auch ein Hirnödem ausgelöst. Ihre Chancen zu überleben standen schlecht. Der Arzt stülpte ihr eine Sauerstoffmaske übers Gesicht, und eine Minute später schoss der Hubschrauber in Richtung Kathmandu davon, wo im Krankenhaus bereits alles Nötige für Anna und Tara vorbereitet wurde. Kim mussten sie sich selbst überlassen, doch die Freunde des Pangje würden ihn sicher bald auflesen.
Der Pangje umklammerte Annas Hand, bis die Ärzte sie in die Intensivstation brachten, und dann begann ein furchtbarer Alptraum. Eine Nacht, einen Tag und eine halbe weitere Nacht wütete und verzweifelte er in den Gängen des Krankenhauses wie eine gefangene Raubkatze. Wie oft hatte der Pangje schon mit dem Schicksal gehadert, doch diese Stunden, in denen Annas Leben am seidenen Faden hing,
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