Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
Vom Netzwerk:
dass Anna lachen musste. Es war ein altes Spiel zwischen ihnen, und mehr als einmal hatte Rebecca sie durch Lüneburgs und Hamburgs Boutiquen geschleift, um Annas Garderobe aufzupeppen, allerdings erfolglos. Annas Abneigung gegen auffällige, figurbetonte Kleidung war einfach zu groß. Im Gegensatz zu Rebecca, die ihre atemberaubenden Formen gern in Klamotten zwängte, die der Phantasie keinen Spielraum ließen. Insgeheim bewunderte Anna die Freundin für ihr Selbstbewusstsein.
    »So, nun aber zurück zum Thema Indien. Du willst dich doch nicht einer zweifelhaften Sekte anschließen?« Obwohl Rebecca lächelte, konnte Anna die Besorgnis aus der Stimme ihrer Freundin heraushören und merkte, wie sich in ihrem Inneren etwas veränderte. Der harte Kloß in ihrem Hals, der ihr seit so vielen Monaten die Luft abdrückte, wurde weicher, nachgiebiger. Sie schluckte, und es wurde noch ein wenig besser. Sie hätte Rebecca von Anfang an einweihen sollen. Geteiltes Leid …
    »Dann fange ich mal von vorn an«, sagte sie.
    »Hört sich gut an«, sagte Rebecca, und dann sagte sie für eine lange Zeit gar nichts mehr, während Anna von dem Fund und dem Inhalt der Briefe, von dem Hippie-Haus in Ostfriesland, dem Telefonat mit Frau Doggenfuss, ihren Zweifeln und schließlich von Ingrid berichtete.
    »Du hast sie in Indien angerufen?«
    Anna nickte. »Erst traute ich mich nicht, aber im August habe ich es nicht mehr ausgehalten.«
    »Warum hast du dich nicht getraut? Durchs Telefon kann sie dir doch nichts tun.«
    »Nicht? Ich denke, schon. Mit dem, was sie mir zu sagen hätte, zum Beispiel.«
    »Und? Was hat sie dir erzählt?«
    »Nichts.«
    »Nichts?«
    »Genau. Sie verhielt sich seltsam. Erst behauptete sie, sie würde Mami nicht kennen, aber als ich ihr mitteilte, Bärbel sei verunglückt, machte sie eine Kehrtwendung und gab zu, mit ihr befreundet gewesen zu sein. Ich wollte wissen, ob sie in ihren Briefen mit Annapurna mich meinte und ob sie tatsächlich meine Patentante sei, und auch nach dem Irrtum mit dem Hochzeitstag habe ich sie gefragt, aber sie hat mir das Wort abgeschnitten. Ich glaube, sie war ziemlich schockiert. Dann hat sie mir rundheraus gesagt, sie könne mir einiges erklären, aber nicht am Telefon, und mich gebeten, ihr meine Kontaktdaten zu geben.«
    »Hat sie sich gemeldet?«
    »Drei Tage später sandte sie mir eine E-Mail mit Reisedaten und Ticketreservierungen für Flug und Zug nach Darjeeling. Sie hat sogar ein Hotel in Kalkutta reserviert. Ich bräuchte nur noch die mitgeschickten Links anzuklicken, meine Kreditkartennummer einzutippen und die Reise zu bestätigen.«
    »Himmel! Du hast –?«
    »Sie bestätigt? Ja.«
    »Ich bin platt.«
    »Und ich habe Angst. Wobei ich nicht weiß, ob ich mehr Angst vor Ingrid oder vor Indien habe.«
    Die Freundin musterte sie nachdenklich. Anna ahnte, was in Rebeccas Kopf vor sich ging: Um Gottes willen, die kleine Anna allein in Indien. Die geht doch verloren!
    »Find ich gut.«
    »Was?« Mit allem hatte Anna gerechnet, aber nicht mit dieser Reaktion.
    Rebecca strich sich ihre blonden Locken aus dem Gesicht. »Ich finde es gut, dass du fliegst«, wiederholte sie betont langsam, damit Anna kein Wort entging. »Erstens, weil du dir Klarheit verschaffen musst. Wahrscheinlich ist die Auflösung dieses Geheimnisses völlig harmlos, aber wenn du weiter vor dich hin grübelst, ist bald nichts mehr von dir übrig.« Sie machte eine lange Pause. »Zweitens kann es dir nicht schaden, ein Abenteuer zu erleben, und nach allem, was ich gehört habe, ist Indien genau der richtige Ort dafür. Dein Leben hier hatte schon immer etwas Asketisches, aber seit deine Mutter gestorben ist, habe ich das Gefühl, mit einer Eremitin befreundet zu sein.«
    »Ist es so schlimm?«, fragte Anna kleinlaut.
    »Schlimmer. Liebe, liebe Anna, das Leben geht weiter, aber Farbe bekommt es nur, wenn du den Farbtopf in die Hand nimmst und es anstreichst. Das kann dir keiner abnehmen. Du gefällst dir viel zu sehr in deiner Rolle als graue Maus. Dabei bist du das gar nicht.«
    »Bin ich doch«, murmelte Anna.
    »Weil du dich dazu machst, verdammt noch mal! Immer angepasst, bloß nicht auffallen. Wovor hast du Angst? Ehrlich gesagt, manchmal hatte ich das Gefühl, dass deine Familie dich gar nicht bemerkt hat, so still und brav hast du immer deine Pflichten erfüllt. Pflichten im Übrigen, die weder deine Mutter noch dein Vater dir je auferlegt haben.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Blöde Frage. Ich

Weitere Kostenlose Bücher