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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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schön.«
    Bärbel folgte ihm, und schließlich setzten sie sich auf die Rückseite des Tempels. Lediglich zwei junge Nepalesen, die ebenfalls vor den Europäern geflohen waren, grüßten kurz und vertieften sich dann wieder in ihr leise gemurmeltes Gespräch. Bärbel legte sich auf die breite Stufe, bettete ihren Kopf in Sylvains Schoß und sah in den Himmel, vor dessen sternengesprenkeltem Dunkelblau sich die Silhouetten der Tempel- und Hausdächer wie exotische Scherenschnitte abzeichneten.
    »Der Mond sieht aus wie ein Stückchen Pampelmuse«, sagte Bärbel.
    »Hmm. Zum Anbeißen. Genau wie du.« Sylvain beugte sich über sie und biss Bärbel leicht in die Nasenspitze.
    Sie umklammerte seinen Nacken und zog ihn noch ein Stück tiefer, um ihn zu küssen.
    »Habe ich mich eigentlich schon bei dir bedankt?«, fragte sie.
    »Wofür?«
    »Dass du unsere Zimmer bezahlst. Ich habe zwar noch etwas Geld, aber lange reicht es nicht mehr.«
    Er winkte ab. »Das mache ich gern. Ihr habt mich schließlich mitgenommen. Außerdem sind wir jetzt endlich ungestört.«
    »Ja.« Bärbel verstummte. Sosehr sie sich in den letzten Wochen danach gesehnt hatte, mit Sylvain allein zu sein, so sehr hatte sie sich auch davor gefürchtet, gleichgültig wie schmackhaft Ingrid ihr das Ganze zu machen versuchte. Selbst ihre beste Freundin ahnte nichts von den Ängsten, die ihr die Luft zum Sprechen nahmen. Bisher waren all ihre Versuche gescheitert, Ingrid von dem Schrecklichen, das in Gießen geschehen war, zu erzählen. Zaghaft strich sie Sylvain über die Wange.
    »Du musst Geduld mit mir haben«, flüsterte sie.
    Statt einer Antwort nahm er ihre Hand und küsste die Innenfläche. Sofort reagierte ihr Unterleib mit einem nicht zu ignorierenden Kribbeln, wie so oft, wenn er sie in den Arm nahm oder küsste. Manchmal brauchte er sie nur ansehen, und ihr Körper meldete sich zu Wort, versuchte, den Widerstand zu brechen, der sich einzig und allein in ihrem Kopf abspielte. Es kann so nicht weitergehen, dachte sie. Ich liebe Sylvain, und er wird gut zu mir sein. Ein Gedanke blitzte auf, und ihr Magen krampfte sich zusammen. Was, wenn er ein anderes Mädchen kennenlernte? Er war attraktiv, und viele machten ihm schöne Augen. Sie durfte ihn nicht länger hinhalten. Und sie
wollte
ihn auch nicht länger hinhalten.
    Bärbel räusperte sich, um ihm ihre Zustimmung zu geben. Um ihm zu sagen, dass sie in ihr gemeinsames Zimmer zurückgehen wollte, um endlich mit ihm zu schlafen. Doch da sprang die Erinnerung sie an wie ein Monster aus einem grässlichen Alptraum. Wieder sah sie die Augen des Monsters, sein Gebiss, roch den Zwiebelatem, spürte die Finger, überall, fordernd, brutal, und dann den Schmerz und die entsetzliche Demütigung. Die Sterne begannen sich zu drehen, schneller, immer schneller. Ihr wurde übel. Sylvain missverstand ihr angstvolles Keuchen und zog sie eng an sich. Jetzt schrie sie. Dieser schwarze, über sie gebeugte Schatten, das war nicht Sylvain! Das war er. Er! Ihre Hand schoss nach vorn, die Fingernägel trafen auf weiches Fleisch, krallten sich hinein.
    Der Dunkle stieß einen Schmerzenslaut aus und ließ sie los. Sofort befreite sich Bärbel aus seiner Umklammerung und sprang die hohen Stufen hinunter, stürzte, raffte sich wieder auf, weiter, weiter, nur fort von hier!
    Sie kauerte in einer Nische neben einem Schrein, orientierungslos und tränenblind, als Sylvain sie wenig später fand. Er hockte sich neben sie und nahm sie vorsichtig in den Arm. Lange verharrten sie so, stumm in einer stummen Stadt.

[home]
23
    I n den folgenden Tagen ertappte Bärbel Sylvain häufig dabei, wie er seine Hand nach ihr ausstreckte, nur um sie sogleich verunsichert wieder zurückzuziehen. Er hatte ihr vorgeschlagen, ein eigenes Zimmer zu nehmen, doch das wollte sie nicht. Insgeheim hoffte sie, sich langsam an ihn zu gewöhnen, an seine harmlosen Berührungen in der Nacht. Sie schliefen angekleidet, auch hier hatte er keine Fragen gestellt, sie nur ratlos angesehen. Wie gern hätte sie Worte für das Unaussprechliche gefunden, ihm erklärt, was in ihr vorging, aber die Blockade war zu groß. Zeit, flüsterte sie sich immer wieder zu, gib mir Zeit.
    Und dann, eines Abends, war alles anders als sonst. Mit seiner sanften Zuvorkommenheit, seinem ruhigen Abwarten und vor allem seinem Respekt ihr gegenüber war Sylvain gelungen, was weder Dope noch der Foelkenorth noch die verrückte Busreise geschafft hatten: Bärbel hatte begonnen, ihre

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