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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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geschnitzten Holzsäulen, die einen ebenfalls geschnitzten Fries trugen, lief einmal um den Schrein herum, und drei flache, übereinander angeordnete Zeltdächer beschirmten ihn. Das oberste, kleinste Dach trug eine weiße, konisch zulaufende Spitze mit einem golden schimmernden Abschluss. Die Anordnung der Dächer erinnerte Bärbel an einen Christbaum. Auf der untersten Stufe des Tempels hatten Händler ihre Waren ausgebreitet, umringt von in hellgraue und braune Kaftane gekleideten Nepalesen und Frauen, deren Saris und Blusen alle Schattierungen von Rot und Grün aufwiesen. Auch auf den anderen Stufen hatten sich Menschen niedergelassen, unterhielten sich, handelten, betrachteten gelassen das hektische Treiben auf dem Platz. Die größte Gruppe lagerte auf den obersten Stufen, und als Bärbel genauer hinsah, erkannte sie blonde Haare, eine Gitarre, bunte Hosen und Röcke. Eines der Hippiemädchen in einem weiten, violetten Kleid erhob sich gerade und winkte Bärbel aus der Distanz zu, dann eilte sie die Treppe auf der Vorderseite des Tempels hinunter und verlor sich im Gewühl. Wenig später spuckte die Menge sie direkt neben dem Bus wieder aus. Nach einem kurzen Blick auf das Nummernschild grinste sie Bärbel, Achim, Pieter und Sylvain einen nach dem anderen an, legte die Handflächen aneinander und sagte in breitestem Schwäbisch:
    »Namaste! Ich bin Anita. Willkommen im Paradies.«
     
    Nachdem sie den Bus sorgfältig verschlossen hatten, folgten sie Anita in ein Gewirr enger Gassen westlich des Platzes. Frauen hielten in ihrer Arbeit inne und sahen ihrer kleinen Gruppe mit verhaltener Neugier nach. Zwar hatten noch nicht sonderlich viele junge Europäer und Amerikaner den Weg hinauf in ihr Königreich gefunden, doch genug, um die Bewohner des Tales an die Hippies zu gewöhnen, die in ihren Augen Tagediebe waren, seltsame Botschafter aus einer ihnen unverständlichen Welt.
    Plötzlich bückte sich Anita und verschwand durch einen niedrigen, sich zu einem Innenhof öffnenden Torgang. Der kleine Schrein in der Mitte des Hofes wurde von Hippies umlagert, und der Geruch von Haschisch hing schwer in der Luft. Anita betrat eine der zum Hof zeigenden Haustüren, führte die anderen eine steile Treppe hinauf und stieß eine Zimmertür auf. Dahinter verbarg sich ein winziger dunkler Raum mit vier Strohsäcken, einer Kiste mit mehreren Kerzenstummeln und sonst nichts, wenn man von dem sauren Gestank nach Schweiß und ungewaschener Kleidung absah.
    »Wenn ihr wollt, frage ich den Besitzer. Passt doch genau für euch vier.«
    Sie waren sprachlos.
    Achim fing sich als Erster. »Da ziehe ich den Bus vor«, bemerkte er. »Und der riecht auch nicht gerade wie ein Rosengarten.«
    Pieter nickte zustimmend.
    Sylvain räusperte sich. »Gibt es auch andere Unterkünfte? Ich meine, wir brauchen kein Luxushotel, aber ein bisschen sauberer dürfte es schon sein.«
    Anita musterte sie interessiert. »Sieht aus, als hättet ihr noch Geld. Na, wenn ihr es unbedingt für ein besseres Zimmer ausgeben wollt, bitte. Früher oder später landet ihr ohnehin auf Strohsäcken.« Sie drehte sich um, und führte sie wieder hinaus. Vor einem Laden mit dem Schild ›Eden Hashish Centre‹ blieb Pieter wie angewurzelt stehen. »Und ich dachte, man hätte uns Märchen erzählt.«
    »Nö, hat man nicht«, sagte Anita. »Es gibt noch mehr solcher Läden mit allerfeinstem Marihuana zum Spottpreis. Ich habe doch gesagt, dass ihr im Paradies angekommen seid. So, jetzt aber weiter, ihr könnt später einkaufen. Ich will zum Tempel zurück.«
    Sie stolperten brav hinter Anita her, bis sie in eine enge Gasse einbog und vor einer einladend offen stehenden Tür innehielt. »Voilà, die Annapurna Lodge. Hier habe ich zu Anfang auch gewohnt. Nette Leute, saubere Zimmer, und zum Waschen machen sie euch einen Eimer Wasser warm.«
    Die Lodge gefiel ihnen, und sie nahmen zwei kleine Zimmer. Sylvain erbot sich, den größten Teil der ohnehin nicht hohen Miete zu bezahlen, und so wanderten sie bestens gelaunt zum Platz zurück, um den Bus zu holen.
     
    Am Abend erkletterten sie ebenfalls den großen Tempel auf dem Durbar-Platz. Oben angekommen, wurden sie von einer Gruppe junger Leute begrüßt. Auch Anita war da, und Achim und Pieter ließen sich neben ihr nieder. Bärbel wollte es ihnen gleichtun, als Sylvain sie zurückhielt.
    »Lass uns dort hingehen«, sagte er und wies auf einige Stufen etwas abseits der Gruppe. »Mir ist nicht nach Reden zumute. Die Nacht ist so

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