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Im Tal des Vajont

Im Tal des Vajont

Titel: Im Tal des Vajont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mauro Corona
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Stier, der rot sieht. Wie gärendes Heu, das vor Hitze schäumt und in dem es rumort, als bäume sich ein wildes Tier darunter auf, so fing auch Raggio an zu kochen und Schaum aus dem Mund zu spucken und derart wild herumzuspringen, dass man ihn mit Heuseilen festbinden musste, als er in der Osteria von Pilin alles zertrümmerte, was in Reichweite war. Das war an einem Regentag, in der Osteria saß man bei einem Glas Wein zusammen, als Raggio plötzlich Schaum vorm Mund hatte. Er zitterte, als stünde er unter Strom, und als sie ihn festhalten wollten, begann er zu schreien und wie eine Gämse vor seinen Verfolgern davonzuspringen. Höllenfeuerrot war er dabei angelaufen. Dann packte er sich plötzlich eine Sitzbank und schlug mit ihr auf alles ein, was in seinem Weg stand, auf Tische, Theke und Ofen, und dabei brüllte er, dass man ihn wegbringen wolle und dass es draußen Blut regnete, aber er wolle nicht nach draußen ein Blutbad nehmen.
    Wir mussten ihn schließlich überwältigen und mit Heuseilen fesseln, denn er hatte mit seiner Sitzbank einen aus Piancuèrt, Gioachin de Mola Strano, mit Wucht auf die Schulter getroffen, der darauf einknickte und zu Boden ging. Hätte man ihn gelassen, hätte er noch andere so niedergeschlagen. Alle sagten, er wäre völlig verrückt geworden und würde überhaupt nichts mehr verstehen, dabei wusste ich ja, warum er so verrückt spielte. Als er wie ein Bündel Holz zusammengeschnürt war, riefen sie nach seiner Frau, die, als sie eintraf, als Erstes mich ansah und dann Raggio, wie er auf dem Boden lag und immer noch schrie, dass es Blut regne, wobei ihm inzwischen der Schaum vorm Mund so trocken wie Lärchenrinde geworden war.
    Einer sagte, er sei durchgedreht, weil er zu starkes Blut habe, und man solle ihn zur Ader lassen, bis der Arzt aus Cimolais eintreffe. Ein anderer sagte, man bräuchte Blutegel, um ihm das Blut auszusaugen, und man müsse nur jemanden zum Rio Valdenere schicken, um welche zu holen. Dagegen sagte Pietro Filippin Spaléta aus Spesse, man bräuchte keine Blutegel, wenn es bloß ums Blutabnehmen ginge. Darauf zog er sein Klappmesser aus der Tasche, nahm einen Arm von Raggio hoch und machte ihm mit der Messerspitze nahe der Schlagader einen Schnitt, der, obwohl gar nicht sonderlich groß, augenblicklich das Blut bis zur Weintheke hochspritzen ließ. Damit nicht alles vollgespritzt wurde, hielten sie ihm den Arm wieder nach unten und nahmen eine Schüssel, um das Blut aufzufangen. Während das austretende Blut langsam zu schäumen anfing, beruhigte sich auch Raggio und schlief endlich ein.
    Das Blut konnten sie ihm schließlich mit einem Verband mit Schafgarbenkraut stillen, das ein jeder im Haus hatte. Zu viert brachten sie ihn dann, gefolgt von mir und ihr, heim in sein Bett, wobei sie ihn weiter gefesselt ließen. Pietro Spaléta sagte, es wäre wohl besser, noch den folgenden Tag abzuwarten, bevor man den Arzt aus Cimolais kommen ließ, denn es könnte ja sein, dass Raggio sich nach dem Aderlass erholt. Der Mund meines Freundes war immer noch so trocken wie Lärchenrinde, und so befeuchteten sie ihn ab und zu mit einem mit Wasser und Essig getränkten Tuch.
    Tags darauf fühlte sich Raggio ein wenig besser, und ich ging ihn besuchen. Er lag im Bett, und seine großen runden Augen starrten geradeaus wie zwei tote Monde. Aber ich bin sicher, dass er mich sehr wohl genau sah und mich anschaute. Er sprach nicht, aber schaute. Sie versuchte, ihm etwas Brühe zu geben. Mir war zum Heulen zumute, ihn durch mein Verschulden in dieser Lage zu sehen. Mir wurde bewusst, was ich ihm da angetan hatte, und ich fühlte mich wie in einer Mistgrube. Aber was getan war, war getan, und nun gab es kein Zurück mehr. Um jedoch dem ihm zugefügten Schaden und zugleich meinen Gewissensbissen ein wenig abzuhelfen, nahm ich mir vor, ihm fortan so viel wie möglich zu helfen, auch wenn ich wusste, dass es nie mehr so wie früher sein würde.
    Sie hatte es bald aufgegeben, ihm die Brühe zu geben, denn er trank keinen einzigen Schluck. Um ihn nicht so ansehen zu müssen, ging ich in die Küche und setzte mich an den Kamin, wo noch etwas Glut vor sich hin glomm, und nahm den Kopf in die Hände. Wenig später kam auch sie und versuchte mich dazu zu bringen, es wieder mit ihr zu machen. Jetzt sei doch alles in Ordnung, sagte sie, aber ich jagte sie fort, sie solle sich schämen, für mich sei es wirklich nicht der richtige Augenblick, an solche Dinge zu denken, weil ich mich

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