Im Tal des Vajont
schlechter als ein Misthaufen fühlte, nein ich war selbst ein Misthaufen. Dann erhob ich mich und ging weg, mit dem Bild des armen Raggio in den Augen, wie er ans Bett gefesselt dalag und mich mit trockenem Mund anschaute.
Er brauchte eine Woche, um sich wieder etwas zu erholen, aber für seinen Kopf gab es keine Besserung mehr. Nach und nach kam er auch wieder in die Molkerei, um seine Arbeit zu tun. Während er sich langsam in seinem Wahn einrichtete, half sie mir beim Käsemachen und Waschen des Kessels und allen Zubehörs. Und fast immer spätnachts, wenn sie den Kessel auswusch und sich dabei absichtlich mit dem Kopf vornüber tief in den Kessel beugte, sodass ihr Kleid den Hintern hochrutschte, nahm ich sie von hinten, genau wie jenes Mal, als sie am Vajont ihre Kleider auswusch.
Wenn Raggio in die Molkerei kam, bekam ich immer Angst, wenn ich zuhören und zusehen musste, wie er sich aufführte. Und in jedem Regen sah er gleich einen Blutregen, vor dem er dann schnellstens in ein Haus flüchtete, weil er kein Blutbad nehmen wollte. Dazu hatte er sich extra um eine Spanne höhere Galoschen aus Ahornholz anfertigen lassen, damit bei seinen Fluchten kein Blut in die Galoschen eindringen und ihm die Füße nass machen würde.
Einmal sagte er, das Wasser aus dem Brunnen beim Kirchturm sei heißes Blut, und machte deshalb mit seinen Kühen, ohne sie trinken zu lassen, wieder kehrt und brachte sie zum Stall zurück. Das Blut, behauptete er, käme von der toten Melissa, die, wie man munkelte, ja schon vor längerer Zeit von den Schnittern umgebracht worden war, und das jetzt war ihr Fluch, dass sie überall Blut fließen ließ. Und so ging der arme Raggio, aus Angst, die Alte könnte wieder Blut regnen lassen, nur mit Regenschirm auf die Straße, auch bei nur wenigen Wolken. Aber es war nicht immer so. Es gab Augenblicke, da war er ganz normal und konnte sich an nichts von dem erinnern, was er gesagt und getan hatte. Wie auch die anderen hütete ich mich dann davor, ihm irgendetwas davon zu sagen, und auch seine Frau erzählte ihm nicht, was er alles anstellte, wenn er verrückt spielte. Doch dann vergrößerten sich plötzlich seine Pupillen, und er sah schlimme Dinge.
An einem Tag lief er schreiend durchs ganze Dorf, der arme Nacio Baldo würde mit einem seiner Rippenknochen in der Hand, wie mit einem Messer, hinter ihm herlaufen, um ihn zu durchbohren, denn er, Raggio, war ja schuld an seinem Tod gewesen. »Nacio, bring mich nicht um!«, brüllte er.
So verbrachte Raggio seine Tage, bis der Winter vor der Tür stand. Und mit dem ersten Schnee wurde es dann nur noch schlimmer, denn sah Raggio bis dahin Blut regnen, wenn es regnete, so sah er jetzt Blutschnee herunterkommen. Die ganze Dorflandschaft, Wiesen und Wälder waren von einem Meter roten Blutschnees bedeckt, und mein Freund hielt sich mit beiden Händen den Kopf fest, denn all dies Blutschneerot war ihm unerträglich. Und dann beschimpfte er die Kinder, die mit Blutbällen warfen und mit ihren Schlitten auf Blutwegen fuhren, und war wütend auf die Leute von Piovech, weil sie Blut schaufelten. Wenn die Nacht anbrach, glaubte er nicht mehr, dass es einfach Nacht wurde, wie er es unzählige Male gesehen hatte, nein, jetzt war es plötzlich der schwarze Nebel, der da einzog, und es konnte einem Angst werden dabei, wenn er schrie, aus dem Zemolatal sei der schwarze Nebel gekommen, und es würde fortan keinen helllichten Tag mehr wie früher einmal geben.
Am Ende war er ganz zerstört und weinte nur noch und sagte dann mit leiser Stimme, all dies Blut sei ja der Fluch der alten Melissa, die ihn holen käme. Doch hatte er immer wieder auch klare Momente, in denen der gute alte Raggio von früher mit seiner Ruhe und seinem Verstand durchschien, dann allerdings auch sein alter Argwohn mir und seiner Frau gegenüber. Seine großen Augen mit den erweiterten Pupillen aber blieben unverändert, auch sein starrer Blick in die Ferne, wo es für Augenblicke den Anschein hatte, als seien seine Wahnvorstellungen dort vorübergehend zur Ruhe gekommen.
Doch ruhten sie nur für kurze Zeit, und eines Morgens waren sie mit einem Schlag wieder hellwach.
Wie immer ging Raggio in den Stall, um die Kühe zu versorgen. Bevor er ihnen zu fressen gab, fixierte er die junge Pastèla, ein schönes, gesundes und starkes Rind, das gewiss ebenso gesunde und starke Kälber zur Welt gebracht hätte. Eine Zeit lang starrte er sie noch weiter an, dann plötzlich, wie mir seine Frau
Weitere Kostenlose Bücher