Im Tal des Vajont
hätte, was aber Gold, Silber, Diamanten und anderes Kostbares anginge, da sei er an der falschen Adresse, wenn er hoffte, Derartiges bei meinem Bruder zu finden. Raggio erwiderte, es reiche ihm auch eine Krone nur aus Eisen, das sei besser als gar keine. Um ihn nicht zu enttäuschen, begleitete ich ihn daher zu meinem Bruder Bastianin, der lachen musste, als er erfuhr, worum es ging, aber dann auch gleich mit einer Schnur am Kopf Maß nahm.
In den folgenden Tagen schmiedete Bastianin ihm dann aus Teilen alter Aluminiumtöpfe, Kupferstreifen und Zinnnägeln eine Königskrone, und als Raggio sie sah, war er so glücklich darüber, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Er setzte sie sich gleich auf den Kopf und nahm sie nur mehr zum Schlafengehen ab. Selbst in der Molkerei behielt er seine Krone auf dem Kopf, doch einmal fiel sie ihm beim Ausziehen eines Käselaibs in den Kessel. Eine Weile brummte er missmutig vor sich hin, und von diesem Tag an jedenfalls hängte er sie, immer wenn er am Käsekessel arbeitete, an einen Nagel in der Wand, aber niemand durfte sie anfassen. Seinen Stab hingegen stellte er immer in dieselbe Ecke hinter der Eingangstür.
Solange Raggio den König spielte, ging alles gut, und abgesehen von dem Hieb, den er Gigin de Jan da Tòrnol versetzt hatte, richtete er keinen großen Schaden an. Aber immer wenn das Wetter umschlug und es zu schneien anfing, denn es war Winter und schneite fast immer, sah er auch wieder Blutschnee und war nicht mehr zu halten. Dann musste man ihn fesseln, wozu es vier Männer brauchte, und anschließend für zwei Tage in den Stall sperren, bis er sich beruhigte. Während seiner Visionen verfluchte er Gott, die Menschen und die Hexe Melissa, die nach seiner Meinung den Blutfluch über ihn verhängt hatte. Die Madonna hingegen verfluchte er nie.
Seine Frau verlor kein Wort und verzog keine Miene, wenn Raggio durchdrehte. Sie war wie aus Marmor, bewegungslos wie die Marmorpfosten von Jaco dal Cuch. Als interessierte sie überhaupt nichts an ihm, nur wenn er gefesselt war, gab sie ihm ein wenig heißes Wasser mit Honig zu trinken, doch das war schon viel.
Ich traf mich jetzt nur noch selten mit ihr, denn unversehens war sie viel ernster als sonst und allem gegenüber gleichgültig geworden. Hin und wieder trafen wir uns zwar noch irgendwo, doch mit jedem Mal wurde sie stiller und hatte kaum noch Lust, es mit mir zu machen, eigentlich so gut wie gar keine mehr.
Es war ein langer und kalter Winter, und viele Buchen, die von allen Bäumen am meisten Wasser speichern, waren vor Kälte geborsten, und überall war das Wasser gefroren. Auch das Sägewerk meines Freundes Gioanin Scàndol war lahmgelegt, weil das Mühlrad eingefroren war. Zu sechst sind wir ihm beigesprungen und haben mit Spitzhacken das Eis aufgebrochen, damit das Wasser wieder fließen konnte. Es war, als würden wir Glas zertrümmern, mit einer Kälte, die bis unter die Nägel kroch, richtig wehtat und sie schwarz anlaufen ließ. Wir reparierten die defekten Teile, und nach zwei Tagen konnte Scàndol wieder seine Holzstämme sägen und war ganz glücklich darüber. Dabei musste das Eis täglich neu aufgebrochen werden, sonst blockierte das Mühlrad gleich wieder.
Wenn morgens die Sonne aufging, rauchte der Vajont, als hätte er Feuer gefangen, und die schwachen Sonnenstrahlen mussten schwer ankämpfen gegen diese Kälte, unter der die Erde einfror. Alles war vereist und die Erde wie tot. Der Rio Valdenere führte noch das einzige fließende Wasser, das lauwarm aus einer Felsspalte entspringt, und keine Kälte dieser Welt lässt es zufrieren. Es war der Herr, der uns dieses gesegnete Wasser gab, das niemals vereist. Damit wir nie ohne Wasser sind, hat Gott diese warme und segensreiche Quelle geschaffen, und das ist das größte Geschenk des Herrn, nicht Gold, nicht Schätze oder Edelsteine.
Jacon Piciol, der Kleine, besaß eine Quelle, die wenig entfernt von seinem Stall aus einer Felswand in der Nähe des Wildbachs Vail entsprang. Es war eine wasserreiche Quelle, doch in diesem Jahr vereiste auch sie, denn sie wurde nicht wie die des Valdenere von Gott gewärmt.
Den Leuten im Dorf war aufgefallen, dass Jacon Piciol schon seit zwei Tagen nicht mehr zu sehen war, nicht einmal mehr Rauch stieg aus seinem Kamin.
So öffneten sie die Tür, die nicht zugesperrt war, und riefen nach ihm, aber es kam keine Antwort. Drinnen wie draußen nur Stille und Kälte und kein Jacon Piciol. Da begannen sie nach ihm zu
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