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Im Tal des Vajont

Im Tal des Vajont

Titel: Im Tal des Vajont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mauro Corona
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suchen, denn es war merkwürdig, dass er nicht da war. Giovan Maria dei Govoi, genannt Bia, hatte die Idee, Jacon bei seiner Wasserquelle zu suchen. Und da fand er ihn auch, zwanzig Meter unterhalb seiner vereisten Brunnenquelle mit dem Kopf zwischen den Händen dasitzend, steif gefroren wie ein Marmorblock. Er war ausgeglitten und mit dem Kopf auf das Eis geschlagen, unfähig, wieder aufzustehen und zurück, hinauf zur Brunnenquelle, zu gehen. Weiter oben, nah der Quelle, stak noch seine Spitzhacke in einem wie Glas glänzenden Eisblock. Jacon Piciol, mit der Absicht hierhergekommen, seine Quelle vom Eis zu befreien, war stattdessen ausgeglitten und den vereisten Hang bis zum Kiesbett am Vail hinuntergerutscht. Dort erst kam er zum Halten, unfähig, wieder hinaufzusteigen. So setzte er sich auf, legte den Kopf in seine Hände und schaute nach vorn.
    Die eisigen Nebel, die aus der Schlucht des Vail aufstiegen, hatten sich wie weiße Laken um ihn gelegt und ihn wie zu einer gläsernen Statue gefrieren lassen. Unter dem Eis waren noch die Augen des toten Jacon Piciol zu sehen, wie sie die Vorbeigehenden fixierten. An einer Pinienstange aufgehängt, deren Enden sich zwei Männer, einer vorn und einer hinten, auf die Schulter legten, trugen sie ihn heim. Doch dort angekommen, wollte es einfach nicht gelingen, ihn zu enteisen, ebenso wenig wie ihn für den Sarg wieder gerade zu bekommen. Er war wie aus Gusseisen, und sie dachten schon daran, ihn mit der Säge gerade zu schneiden. Da schlug Bia dei Govoi, der ihn gefunden hatte, vor, ihn in ein Fass zu stecken und ihn so, sitzend und gefroren, wie er war, zu begraben, ohne ihn zersägen zu müssen, und das war wohl eh besser für ihn, denn im Sitzen ist es vielleicht doch bequemer für einen Toten als zersägt im Liegen.
    Und so wurde es ausgeführt. Sie steckten ihn in ein Fass, das man von den Gebrüdern Abramo di Valdapont geholt hatte, die auf Bottiche, Fässer und Tanks spezialisiert waren, und begruben ihn im Fass sitzend, mit dem Kopf zwischen den Händen und immer noch nach vorn blickend. Es war schwere Arbeit, dann mit den Spitzhacken die Grube auszuheben, denn die Erde war wie Stein von der Kälte.
    Armer Jacon Piciol, er war ein guter Arbeiter gewesen, hatte keine Mühe gescheut, und jetzt konnte er sich nicht einmal im Tod, wie alle anderen, für lange Zeit zum Ausruhen hinstrecken.
    Aber vielleicht ging es ihm wirklich besser so, im Fass unter der Erde sitzend nach vorn schauen und dabei an seine Sachen denken.
    Auch Raggio war zum Begräbnis gekommen und schrie herum, dass nach dem Fluch der Hexe Melissa nun alle die sterben müssten, die sie umgebracht hatten. Und während man das Fass mit dem gefrorenen Jacon Piciol darin in die Grube hinabsenkte, segnete Raggio ihn mit seinem Königsstab. Als das der Priester Don Chino Planco sah, ordnete er an, Raggio vom Friedhof zu entfernen, er würde hier schließlich den Segen geben, doch Raggio wollte nicht weggehen, und es fehlte nicht viel, und er hätte auch dem Priester einen Hieb auf den Kopf versetzt. Da ergriffen sie ihn zu viert und zerrten ihn zur Seite, ohne ihn jedoch vom Gottesacker wegzubringen.
    In der Molkerei hatten wir gut zu tun, und immer brannte ein Feuer, um der großen Kälte dieser Winterplage Herr zu werden. Wenn Raggio nicht da war, half sie mir beim Käsekochen. Dabei hielt sie den großen Käselaib, den sie für Don Chino angefertigt hatte, immer perfekt sauber. Eines Tages sagte ich ihr etwas verärgert, dass auch die anderen Laibe gereinigt gehörten, nicht nur der große; worauf sie gleich die Bürste nahm, alle Laibe abbürstete und mit einem kleinen Messer noch die letzten schwarzen Ablagerungen entfernte, dann wusch sie alle mit Wasser und Salz ab und stellte sie an ihren Platz zurück. Wenn sie wollte, war sie wirklich sehr tüchtig.

Eines Abends nahm sie den großen Käselaib des Priesters mit zu sich heim. Sie sagte, der sei dort besser aufbewahrt, denn anders würde er vielleicht beschädigt, und zu Hause habe sie mehr Zeit, ihn zu pflegen. So meinte sie jedenfalls. Sie legte ihn in ihr Zimmer, und jeden Tag wusch und bürstete sie ihn und kratzte die Schimmelflecken und Ablagerungen weg.
    Im selben Winter geschah dann noch ein weiteres Unglück, denn wie von der Hitze werden die Menschen auch von der Kälte verrückt. So ertrug Carle dal Bus dal Diaul die Kälte nicht länger, setzte sein Haus in Brand und ließ sich gleich mit verbrennen. Kurz zuvor hatten sie ihn noch in der

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