Im Tal des Vajont
Cuaga, dann von Prada, Savéda, Lirón und Marzàna, alles Ortsteile von Erto. Dann aber auch König von San Martino, wo vor Jahrhunderten tatsächlich einmal König Marco mit Königin Claudia gewohnt hatte.
Mit dem Verstreichen der Tage hielt er sich dann in der Folge für den König des Val Cellina und des Friaul, dann gar für den Italiens, und schließlich behauptete er, der König der gesamten Welt zu sein, und über ihm stand nur noch Gott, aber vielleicht nicht einmal er.
Mein Bruder hatte sich in Maniago, dem für seine Messer bekannten Ort, Teile alter Blattfedern besorgt und daraus für Raggio einen schönen Satz von Meißeln und Beiteln zum Madonnenschnitzen ausgeschmiedet. Gehärtet hatte er die Werkzeuge im Wasser des Rio Valdenere, das beste überhaupt in der Gegend, wodurch die Werkzeuge rasierklingenscharf wurden, und gerade das Wasser des Valdenere ist einzigartig zum Härten von Holzschnitzwerkzeugen, denn es ist heilig.
In der Zwischenzeit hatte Raggio allerdings mit dem Madonnenschnitzen aufgehört und wandte sich nun dem Schnitzen von anderen Dingen zu. Zunächst einmal fertigte er jetzt einen Thron für sich an, denn ein König, sagte er, müsse schließlich auch seinen eigenen Thron haben. Dazu nahm er einen ein Meter hohen Block aus Weißtannenholz mit einem Meter Durchmesser. Aus diesem schnitt er dann mit viel Geduld seinen Thron in Form eines großen Stuhls heraus, mit einer Art behörntem Adler am Kopfende, umringt von allerlei Wildtieren wie Gämsen, Rehen, Vögeln, und am Fuß des Stuhls, wo er die Füße absetzte, der Teufel mit seinem von einer manéra , der Holzfälleraxt, gespaltenen Schädel, wie um zu sagen, dass natürlich Raggio ihm den gespalten hatte. Aber die Tiere wie auch alles Übrige waren längst nicht so schön geraten wie die Madonnen, so als hätte ihm dabei nicht mehr jene Frau zur Seite gestanden und den Meißel geführt. Ich riet ihm, doch wieder Madonnen zu schnitzen, aber er erwiderte, Könige schnitzten keine Madonnen, und so tat er es auch nicht mehr.
Jetzt kam Raggio nur noch selten in die Molkerei, und an seiner Stelle half mir seine Frau beim Käsemachen, die sich inzwischen gut darauf verstand und manchmal schon alles allein machte, wenn ich nicht da war. Aber hin und wieder kam Raggio doch noch, um mit mir Käse zu machen, auch wenn er verrückt geworden war und sich immer daran zu schaffen machte, Holz für sein Königreich zu schneiden. Wenn er kam, verließ seine Frau ohne ein Wort die Molkerei.
Eines Tages sagte sie mir, es täte ihr leid, ihren Mann in diesem Zustand zu sehen, und dass es besser sei, sich für einige Zeit nicht mehr zu treffen, da sie ihm helfen wolle, dass es ihm wenigstens etwas besser ging. »Wie du willst«, gab ich ihr zurück und fuhr ohne großes Aufhebens mit dem Käsemachen fort. Ohnehin kam sie dann doch noch manchmal zum Käsemachen, denn ihr Mann war nicht immer gerade beweglich bei seiner Wahnidee, ein König zu sein.
Wie schon gesagt, war es in Erto üblich, gleich wann, aber einmal im Jahr, einen ungefähr zwanzig Kilo schweren und doppelt so großen Käselaib wie gewöhnlich herzustellen. Es war ein Geschenk für den Dorfpriester, das man ihm meist zu Ostern oder Weihnachten übergab, oder jedenfalls wenn man konnte, denn nicht immer gab es ausreichend Milch genau zu den Festtagen. Der Priester zerteilte dann den Käse und gab jeweils ein Stück davon an die Ärmsten weiter, und ein wenig behielt er auch für sich. Andere hingegen, wenn sie mit ihrem Karren voll guter Sachen aus der Ebene zurückkehrten, schenkten ihm Eier oder gleich das ganze Huhn, falls er etwas mehr Gefälligkeiten brauchte, oder ein Stück Gämsenfleisch oder eine Schüssel voll Mehl. Oder man gab ihm auch etwas vom Schwein, das man für die Weihnachtsfesttage frisch geschlachtet hatte. So half man sich üblicherweise untereinander.
Eines Morgens ging ich schon früh in die Molkerei und wunderte mich, dass bereits einige Lampen brannten. Zunächst dachte ich an Raggio, aber es war seine Frau, die bereits Käse gemacht hatte. Und zwar in der großen, für den Priester bestimmten Form. Ich fragte sie, wie sie es geschafft habe, den Käselaib von über zwanzig Kilo aus dem Kessel auszuziehen. Ich müsse dazu wissen, antwortete sie, dass es nicht das erste Mal und nicht einmal besonders schwer gewesen sei, ihn auszuziehen. Darauf fragte ich sie, wie es ihr in den Sinn gekommen sei, einen großen Käselaib für den Priester zu machen, wo wir doch
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