Im Tal des Vajont
getrieben hatte, weil sie schon alt waren und nur noch wenig Milch gaben, und siebzehn Schafe zur Wollgewinnung. Die Kühe gab ich Paol dal Fun als Leihgabe, der mit seinen heranwachsenden Kindern die Hilfe der beiden Kühe gut gebrauchen konnte, auch wenn sie wenig Milch gaben.
Inzwischen war es Sommer, ich hatte begonnen, meine Tiere auf die Hochweiden zu treiben, und mir war, als sei jener Amboss von meinem Kopf genommen. Ich mied jene Berge, wo ich wusste, dass Raggio sich dort aufhalten würde, doch nicht immer konnte ich ihm ausweichen, denn manchmal suchte er absichtlich gerade die Berge auf, wo er mich vermutete, und kein Berg ist so groß und weitläufig, dass nicht zwei wandernde Männer dort aufeinandertreffen könnten.
Eines Tages, auf den Wiesen des Buscada, sah ich ihn plötzlich mit seiner Ziegenherde auf mich zukommen. Ich hatte nichts bemerkt, denn er hatte den Tieren, um nicht gehört zu werden, die Glocken abgenommen. Raggio hob seinen Stab in die Luft und drohte wieder einmal, dass er mich damit früher oder später erschlagen würde. Mit einem leichten Lachen erwiderte ich, besser später als früher, ich wolle schließlich noch etwas länger leben. Dabei versuchte ich jedenfalls freundlich zu bleiben, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Doch wie um auf ihre Weise zu zeigen, dass es zwischen uns keinen Frieden mehr geben könne, begannen nun unsere beiden Ziegenböcke, meiner und seiner, mit ihren Hörnern aufeinander loszugehen. Als Raggio sah, dass sein Bock dabei war, den Kampf zu verlieren, versetzte er meinem mit solcher Wucht einen Hieb, dass dieser mit gebrochenem Rückgrat am Boden lag. Mein armer Ziegenbock brüllte und jammerte verzweifelt vor Schmerzen. Und als reichte das noch nicht, stieß Raggios Bock noch weiter mit seinen Hörnern auf meinen ein. Da warf ich mich dazwischen und drängte Raggios Bock wie auch ihn selbst weg und warnte ihn, dass ich ihm mit der Hippe den Kopf abschnitte, wenn er nicht gleich verschwinden würde; dabei griff ich nach der Hippe, welche ich immer auf dem Rücken im Gürtel stecken hatte. Darauf machte Raggio kehrt und trieb seine Herde Richtung Scalètpass auf die Hochweiden von Borgà und Casera Vecchia. Noch im Weggehen wiederholte er weiter, er würde mich mit seinem Stock totschlagen, und fuchtelte dabei so wild damit herum, dass es, wie bei plötzlichen Windstößen, in der Luft nur so pfiff von seinen Hieben.
Ich bereitete den Qualen meines Bocks ein Ende und schnitt ihm den Kopf ab. Dann zog ich ihm mit dem Klappmesser das Fell ab, ließ es für die Wölfe und Marder auf der Erde liegen, lud mir meinen armen Bock auf die Schultern und machte mich schließlich wieder nach Erto auf, wo ich ihn stückweise an meine Freunde verschenken wollte; denn auch wenn die Leute mich schief ansahen, den einen oder anderen Freund hatte ich noch im Dorf.
Danach nahm ich wieder das herumziehende Hirtenleben hoch oben in den Bergen meines Tals auf. Vor allem durchstreifte ich die Gegend von Lodina und der Buse dei Vitelli, die versteckt und weit genug entfernt waren, um dort nicht auf Raggio zu treffen. Aber auch wenn ich aufpasste, manchmal begegnete ich ihm trotzdem, denn die Berge sind, wie gesagt, nie so groß, als dass nicht auch zwei Männer dort aufeinanderstoßen könnten. Nicht einmal die ganze Welt ist groß genug dafür, wenn einer den anderen sucht.
Wenn er mich dann traf, brannte er vor Wut, beschimpfte mich aufs Übelste und hob drohend seinen Königsstab: früher oder später würde er mich mit diesem Stock aus dem Verkehr ziehen. Er war ganz böse geworden, und wenn jemand ihm das sagte, wie böse er sei, antwortete er, dass er nicht böse, sondern nur gerecht sei.
Seine Tiere behandelte er, als wären es menschliche Wesen, aber wenn sie sich einmal falsch verhielten, wurden sie regelrecht verurteilt, denn er war der König und herrschte über die ganze Welt und alle, die in dieser Welt lebten. Entfernte sich beispielsweise einmal eine Ziege von der Herde oder kam verspätet zurück, so machte er ihr den Prozess, mit Krone auf dem Kopf und Stab in der Hand, und bestrafte sie nach Maßgabe des begangenen Fehlers. Handelte es sich nur um ein geringfügiges Vergehen, dann gab er ihr nichts zu trinken oder zu essen oder kein Salz oder sonst etwas; war es aber ein schweres Vergehen, dann verurteilte er sie zum Tod und schlug ihr mit der Axt eigenhändig den Kopf ab. Auf diese Weise hatte er in einem Monat schon drei getötet. Paol dal Fun sagte
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