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Im Tal des Vajont

Im Tal des Vajont

Titel: Im Tal des Vajont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mauro Corona
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nicht ausreichte, und außerdem sei es jetzt nicht die richtige Zeit dafür. Dann käme er am folgenden Tag wieder, wenn es mehr Milch gab, sagte er, denn die Zeit passte ja immer, schließlich bräuchte man nur ein wenig Milch anzusammeln.
    Weiters wolle er die große Käseform, weil er ein Kind hineinstecken müsse. Bei diesen Worten schnürte er sein Bündel auf, welches ein Tuchsack war, und zog ein frisch geborenes totes Zicklein heraus. Auch er wolle ein Kind im Käse verstecken, sagte er, denn diese Hure von Ziege hätte ihr Kleines tot getrampelt. Um Zeit zu gewinnen und ihn nicht wütend zu machen, sagte ich ihm, er solle es auf den Tisch legen, ich würde es dann schon am nächsten Tag eindicken. Völlig unerwartet gehorchte Raggio auf der Stelle, warf das Zicklein auf den Tisch, nahm seinen Stab und ging.
    Später erfuhr ich, dass eine seiner Ziegen ein Kleines geworfen hatte, welches darauf von den anderen Ziegen zu Tode getrampelt worden war, weil Raggio vergessen hatte, die Ziege vor der Geburt von den anderen zu trennen. Er hingegen glaubte, dass die Mutterziege es absichtlich getötet hatte. Da hatte er die Axt genommen und der Ziege mit einem Hieb den Kopf abgeschlagen, so als schneide er einen jungen Lärchenast, der seinerseits wie Butterschmalz zu schneiden ist. Am Folgetag dann erschien er nicht mehr, sicher hatte er es vergessen.
    Nach diesem Vorfall beschloss ich, dass es reicht, denn ich wusste, Raggio würde kurz über lang zurückkehren und weiteres Unheil anrichten. Daher suchte ich jetzt jemanden, der diese vermaledeite Molkerei weiterführen würde, denn Vitorin Scàia war noch nicht in der Lage dazu. Ich fragte hier und da nach, bis ich schließlich Paol dal Fun Filippin kennenlernte, ungefähr vierzig Jahre alt. Ich erklärte ihm alles. Er sagte, er übernähme sehr gern die Molkerei, aber hätte kein Geld, um mir die Gerätschaften zu bezahlen und all das, was ich und Raggio im Laufe der Jahre auf die Beine gestellt hätten. Ich antwortete ihm, dass er zum Bezahlen noch den ganzen Rest seines Lebens Zeit hätte, und wenn nicht, könne er mir auch einige Ziegen dafür geben oder ein Rind, was immer er wolle und verkraften könne, oder auch gar nichts, ich würde ihm trotzdem die Molkerei überlassen. Auch nur ein Käselaib hin und wieder hätte mir gereicht, damit wäre ich schon zufrieden gewesen, solange ich mich von diesem Fluch befreien konnte.
    Ich habe in meinem Leben noch nie einen so glücklichen Mann wie Paol dal Fun in diesem Augenblick gesehen. Er umarmte mich und sagte, ich hätte ihn vor dem Ruin gerettet, denn auch wenn es nur wenige wussten, er befände sich gerade jetzt in einer verzweifelten Lage, mit drei kleinen Waisenkindern mütterlicherseits, und der Waldarbeit, die den Bach hinuntergegangen sei. Sein Teilhaber hatte das gesamte Holz, mehr als achthundert Zentner, verkauft und war mit dem Geld verschwunden. Er hatte seinem Kompagnon vertraut, weil der sich weit besser in geschäftlichen Dingen auskannte als er selbst. Er hatte bis zur fünften Klasse die Grundschule besucht und sich daher auch um den Holzverkauf gekümmert. Aber dann hatte er ihn reingelegt. Er ging nach Treviso und Conegliano, wo er innerhalb einer Woche alle achthundert Zentner verkaufte. Statt aber zurückzukehren und den Erlös mit Paol zu teilen, verschwand er einfach mit dem Geld.
    Paol wartete einen Monat, bis er endlich begriff, dass sein Kompagnon nicht mehr zurückkommen würde.
    Nachdem er mich voller Freude umarmt hatte, dankte er mir unter Tränen und schwor bei seinen Kindern, dass er seinem Kompagnon, sollte dieser noch einmal vor ihm auftauchen, auch nach tausend Jahren die Axt mitten in seinen Schädel rammen würde. Denn das könne man nicht machen, sagte er, vor allem nicht mit jemandem, der drei mutterlose kleine Kinder habe.
    Ich verbrachte eine Woche mit Paol dal Fun in der Käserei damit, ihm alles zu erklären, was zum Beruf des Käsers dazugehört, einschließlich so mancher Kniffe. Zufrieden sah ich, dass Paol alles sofort begriff, wohl auch, weil er schon einiges über das Käsemachen wusste.
    Dann drückte ich ihm die Hand und sagte, dass alles in der Käserei nun ihm gehöre. Wir tranken noch eine Flasche Wein und verabschiedeten uns. Vorher legte ich ihm noch ans Herz, den Burschen Vitorin Scàia nicht zu vergessen, denn auch er brauchte Arbeit.
    An den folgenden Tagen versammelte ich alle meine Tiere, ungefähr vierzig Ziegen, zwei Kühe, die ich nicht auf die Alm

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