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Im Tal des Vajont

Im Tal des Vajont

Titel: Im Tal des Vajont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mauro Corona
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nicht angeschwollen waren wie sonst, wenn er völlig verrückt spielte. Also sagte ich ihm, seine Frau sei in der Irrenanstalt in Pergine in Valsugana, und es ginge ihr überhaupt nicht gut. Worauf er sofort erwiderte, dass ich der Grund sei, warum man sie in die Irrenanstalt eingesperrt habe und es ihr schlecht ginge. Dabei erklärten ihm jeden Tag alle im Dorf, wo seine Frau sich aufhielt, aber Raggio vergaß alles sofort wieder. Und so fragte er dann immer noch einmal, wo sie war, doch irgendwann wurde er es schließlich müde, und damit war alles beendet.
    Aber an diesem Tag in Pilins Osteria drehte er sich zu den Leuten um, die dort saßen und tranken, und bat sie, sie mögen ihn doch zu ihr bringen. Doch keiner wollte sich die Mühe machen und die Verantwortung auf sich nehmen, mit Raggio im Schlepptau bis ins Valsugana zu fahren, und so sagten sie Nein.
    Da fing er wieder mit der üblichen Leier an, dass er mich mit dem Stock totschlagen würde, worauf ich mich schließlich davonmachte, denn ich musste ja zu meinen Ziegen auf die Steilwiese am Bozzìa zurück. Pilin sagte noch, Raggio sei von den Buse di Lodina heruntergekommen, um Zündhölzer zu besorgen, und so seien wir nur zufällig hier aufeinandergetroffen.

Am 24. August, dem Bartholomäustag, stieg ich ins Dorf hinunter, um mitzufeiern, weil es der Tag unseres Schutzpatrons ist. Es war ein schöner, warmer Tag, und nach der Messe fand man sich zuhauf bei Pilin zum Trinken ein; ich, mein Bruder Bastianin und andere Hirten und Waldarbeiter, einschließlich Felice und Maria Menin mit ihrer Tochter Neve, die im Winter nicht fror.
    Ich ging auf sie zu, um sie zu grüßen, aber kaum war ich der Kleinen auf einen Meter näher gekommen – sie war jetzt schon ziemlich groß geworden, gesund und schön wie ein Kälblein –, als sie verzweifelt zu weinen und zu schreien anfing. Also entfernte ich mich wieder, und sofort hörte sie auch mit dem Weinen auf. Ich hatte gedacht, dass sie nach all dieser Zeit keine Angst mehr vor mir haben würde, doch es war schlimmer als zuvor. Mit Raggio war es das Gleiche; wenn er sich ihr näherte, brüllte die Kleine wie ein Zicklein, das man ausbluten lässt. Ich wusste nicht, warum, keiner wusste es, aber es war einfach so, vor uns beiden musste die Kleine immer weinen.
    Aber dieser Tag sollte mir noch aus einem anderen Grund als der weinenden Neve in Erinnerung bleiben.
    Gegen drei Uhr, nachdem alle ausgiebig gegessen und getrunken hatten, verließ mein Bruder Bastianin die Osteria von Pilin. Er sagte, er müsse etwas erledigen und käme dann gleich wieder zurück. Beim Hinausgehen schwankte er ein wenig, gerade so viel, dass klar war, er ist betrunken.
    Ich weiß nicht, in welche Richtung er gegangen war. Ich weiß nur, dass gegen vier jemand in die Osteria kam und von einer Rauferei in der Via Soprafuoco berichtete, bei der mein Bruder Bastianin einem aus Valdapont einen Axthieb versetzt hatte. Als ich Valdapont hörte, zitterten mir die Knie. Auch ich hatte einen kleinen Rausch, denn nach der Messe hatte ich mich von der Osteria nicht mehr fortbewegt und nur noch getrunken, trotzdem ging ich jetzt mit den anderen zusammen nachschauen, was passiert war.
    Und da sah ich, was ich schon befürchtet hatte und nie hätte sehen wollen.
    Am Boden lag in einer Blutpfütze jener aus Valdapont, der der Geliebten meines Bruders die Tollkirsche verabreicht hatte, wodurch sie dann irre geworden war. Bastianin hatte ihm den Kopf in zwei Hälften aufgespalten, mit der Axt zum vierkantigen Behauen von Balken. Ohne ein Wort schauten die Leute auf den bäuchlings in seinem Blut liegenden Toten mit dem zweigeteilten Schädel hinab, und nicht wenige meinten, dass Bastianin nur seine Pflicht getan hätte, als er ihn spaltete.
    Auf meine Frage, wo mein Bruder jetzt sei, sagten sie mir, sie hätten ihn mit Gewalt in den Stall von Mori gezerrt, weil er mit weiteren Axthieben diesen Feigling in Stücke schlagen wollte, der ihm Geliebte und Leben vernichtet hatte.
    Darauf ging ich mit gesenktem Kopf zum Stall von Mori. Vier Männer waren bei ihm und ließen ihn nicht aus den Augen, was nicht mehr nötig war, denn Bastianin hatte sich schon beruhigt.
    Den Kopf in die Hände gestützt, saß er auf einer Bank. Ich sagte, Bastianin, was hast du getan, und er, ohne den Kopf zu heben, antwortete, er habe getan, was getan werden musste. Dann sah er mich starr an: »Seit Jahren schon denke ich daran, ihn zu töten.« In der Steinwanne voll Wasser zum

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