Im Tal des Vajont
zwei Münder mit Eisenzähnen.
Auch kann ich noch hören, wie Raggios hinabstürzender Körper gegen die Felswände schlug. Es war wie das hässlich krachende Geräusch eines Schafes, das in den Bergen abstürzt und an den Felsen zerschellt.
Als nichts mehr zu hören war, setzte ich mich an den Rand der Foiba und verbarg den Kopf in den Händen. Jetzt war es also wirklich vorbei, Raggio existierte nicht mehr auf dieser Welt. Es war ihm nicht gelungen, mich mit seinem Stock zu töten, aber ich konnte nicht froh darüber sein, denn ich war schließlich die Ursache von allem gewesen. Ich und niemand anderes.
Und jetzt hatte ich ihn überhaupt erst vollständig umgebracht, zur Hälfte hatte ich ihn ja schon mit der Tollkirsche getötet.
Ich weiß nicht, nach wie langer Zeit ich aufstand und zur Käserei ging. Ich war ganz aufgewühlt, voller Angst und verwirrt, denn einen Menschen töten ist nicht wie einen Frosch oder eine Gämse töten, es hinterlässt Spuren, und umso schlimmere, wenn der Mensch, den du umgebracht hast, dein Freund war.
Beim Aufbruch sah ich noch die Königskrone auf dem Boden liegen, die Raggio während seiner Verfolgungsjagd verloren hatte. Ich nahm sie und warf sie seinem Herrn hinterher in die Foiba, damit von dem Geschehenen keine Spur mehr am Erdboden zurückblieb. Während ich sie aufhob, fühlte sie sich brennend heiß an, und ich schleuderte sie deshalb, ohne einen weiteren Blick, sofort ins Loch.
In jener Nacht, oben in der Cornettohütte, machte ich kein Auge zu und sah Gespenster und Tote, die mir böse Zeichen gaben. Ich legte ständig Holz auf das Feuer nach, um etwas Gesellschaft zu haben, denn draußen meinte ich immer wieder die Schritte von Raggio mit seinen genagelten Schuhen zu hören, der mich mit seinem Stab suchen kam.
Eine Woche blieb ich dort oben, bevor ich wieder ins Dorf abstieg, und ich möchte niemandem wünschen, je eine solche Woche verbringen zu müssen. Gewissensbisse und Angst ließen mir keinen Schlaf. Ich musste andauernd an mein Schicksal und an das meines Bruders denken, die wir beide einen Menschen getötet hatten, und an meinen Vater, der selbst auch getötet worden war. Und dann musste ich an sie denken, die meinen Sohn getötet und in den Käse gesteckt hatte, und an Maddalena Mora, die sich im Stall am Balken erhängt hatte, aus Reue darüber, dass die Alte ihr das Kind mit der Stricknadel aus dem Leib herausgezogen hatte, und vielleicht war auch das mein Kind.
Wie viele Tote! Und alle waren sie auf grausame Art gestorben. Die vermaledeite Hexe Melissa machte ihre Arbeit gut.
Ich konnte nicht mehr länger an diesem Ort leben, dachte ich. Zu viele grausame Dinge verfolgten mich Tag und Nacht, wie Hunde, die mich langsam, nach und nach, in kleinen Stücken auffraßen, um mich noch lange unter ihren Zähnen spüren zu können. Und dazu noch die Schritte, die ich nachts draußen vor der Hütte zu hören glaubte oder tatsächlich hörte, ich weiß nicht recht, aber ich weiß, es waren die von Raggio mit seinen genagelten Schuhen.
Nach einem Monat begannen die Leute zu fragen, wo Raggio geblieben sei, da er nirgendwo mehr zu sehen war. Seine Ziegen irrten herrenlos, wild und aggressiv unter dem Monte Lodina umher. Im November trieb sie einer aus Cimolais, Redento Bressin Zigòl, wieder ins Tal hinab, bevor sie alle im Schnee umgekommen wären. Da Raggio nicht mehr auftauchte, sagte Redento, er würde sie für die erste Zeit versorgen und sie ihrem Herrn zurückgeben, sobald der wieder erschien. Aber ich wusste, dass es nicht mehr dazu kommen würde.
Man erzählte sich, dass Raggio nach Frankreich oder Österreich abgehauen sei, aber die meisten glaubten, er sei in irgendein Erdloch gestürzt, in der Gegend der Buse di Lodina, die deswegen gerade auch Fosse, Graben, genannt werden, weil diese Gegend mit Erdlöchern und bodenlos tiefen Spalten übersät ist. Sie sind wie klaffende Münder, die nach einem Toten rufen, und können einen Menschen verschlingen, ohne dass er es merkt, wie die Kuh eine Blume frisst.
Ich glaube, mich hat keiner verdächtigt, auch weil ich und Raggio in dieser Zeit unsere Ziegen auf verschiedenen, recht weit voneinander entfernten Almen weideten.
Niemand konnte sich vorstellen, dass an jenem vermaledeiten Tag Raggio vor mir auf die Roppa steigen würde, um mir aufzulauern. Und er hatte dann dort, nah der Foiba, haltgemacht, wie ich glaube, um mich, einmal mit dem Stock erschlagen, im Loch verschwinden zu lassen; denn hätte man
Weitere Kostenlose Bücher