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Im Tal des Vajont

Im Tal des Vajont

Titel: Im Tal des Vajont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mauro Corona
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Teller, Körbe, Ofenschieber, Fasshähne und an die fünfzig Antoniusfiguren und Madonnen. Die Madonnen trugen wie immer mehr das Gesicht des heiligen Antonius als das der Madonna, weil Sgùima ja nur auf Antoniusfiguren spezialisiert war. Erst als Raggio Madonnen schnitzte, hatte auch er sich daran versucht, aber die von Raggio trugen derart schöne, lebendige, lachende Frauengesichter wie kaum je eine andere zuvor, dagegen ähnelten die von Genio eher Männern.
    Vor dem Aufbruch ging ich noch zum Friedhof, um meinen Vater und meine Mama und alle meine Toten und auch die der anderen Familien zum Abschied zu grüßen, dann stellte ich mich zwischen die Zugstangen und ging los.
    Nach drei Tagen hatte ich Erto schon ziemlich weit hinter mir gelassen, aber die Gedanken an Raggio und seine eisenbeschlagenen Schuhe gingen mir nicht aus dem Kopf und quälten mich wie tausend Bienen.
    Ich dachte daran, was ich ihm angetan hatte und was er immer über den Fluch der alten Melissa sagte. Aber jetzt hatte ich vor nichts und niemandem mehr Angst, denn ich war allein zurückgeblieben, und ob ich nun leben, sterben oder leiden würde, interessierte mich nicht mehr, und was immer mir Schlimmes geschehen sollte, ich hatte es verdient.
    Abends klopfte ich bei Bauern an, die mich im Stall schlafen ließen und mir auch etwas zu essen gaben und dann auch des Öfteren eine Schüssel oder ein Nudelholz kauften.
    Schließlich zog der Frühling in die friulanische Ebene ein, und um Mitte März war es dort unten schon recht warm. Wenn ich daran dachte, dass es bei uns oben zu dieser Zeit noch Schnee und Kälte gibt, bereute ich überhaupt nicht, fortgegangen zu sein. Doch bevor ich für einige Stunden einschlief, sah ich als Letztes immer mein Dorf, unser Haus und meine Leute. Dann spürte ich Wehmut und Schmerz, und für eine Weile dachte ich, dass ich, waren erst einmal alle Holzwaren verkauft, dann immer noch zurück nach Erto zu Genio Sgùima konnte und so, unter dem Vorwand, den Karren wieder auffüllen zu müssen, mein Dorf wiedersehen. Danach würde ich, ohne viel nachzudenken, von Neuem aufbrechen, denn dort oben konnte ich nicht bleiben.
    So lief mein Leben dahin, ohne jede Hoffnung.
    An einem der ersten Apriltage, nachdem ich die Gemeinden Casarsa, San Vito al Tagliamento, Bagnarola, Morsano, San Giorgio al Tagliamento, Varmo und Sesto al Reghena passiert hatte, kam ich kurz hinter der Ortschaft namens San Michele al Tagliamento zu einem großen Bauernhaus. Ich hatte wenig oder nichts verkauft, nicht etwa, weil die Leute nichts wollten, sondern weil ich nichts zu verkaufen brauchte, denn überall gaben sie mir Verpflegung und Unterkunft, ohne je Geld dafür zu verlangen.
    Wenn ich etwas verkaufte, so nur, um mir den Wein leisten zu können, den ich zum Vergessen brauchte, denn das Geld war mir vollkommen gleichgültig.
    Ich fühlte mich augenblicklich wohl in diesem Haus. Ich schlief im Stall und aß mit ihnen allen zusammen am großen Tisch. Hausherren waren Eheleute, der Mann wohl in meinem Alter, die zwei Söhne von zehn und elf Jahren hatten. Und dann waren da noch die Brüder des Mannes mit ihren Familien sowie drei Alte, zwei Männer und eine Frau. Alle zusammen wohnten sie in diesem Haus, und im Stall standen an die dreißig Kühe, dazu noch Schweine, Hühner, zwei Pferde, Gänse und andere Tiere.
    Die Hausherren boten mir an, so lange zu bleiben, wie ich wollte, und wenn ich meine Runde durch das Friaul beendet hätte, sollte ich zum Schlafen ruhig wieder bei ihnen einkehren. Also könnte ich mit meinem Zugkarren und meinen Sachen ihr Haus sozusagen als Basis benutzen, für sie bedeutete das keine Last. Es waren wirklich gute Leute.
    Am Anfang sagte ich noch Nein, ich würde nur selten hierbleiben, doch dann ereignete sich ein Vorfall, der mir beim Padrone eine solche Achtung einbrachte, dass er mich fast zwang zu bleiben.
    Eine Kuh war gerade niedergekommen, lag sterbend am Boden und kam nicht wieder auf die Beine. Der Tierarzt war nicht zu erreichen, und keiner wusste, wie man die Kuh retten könnte. Da riet ich ihnen, zwei Liter Wein mit viel Zucker abzukochen und der Kuh diesen Trank so heiß wie möglich zu verabreichen. Gesagt, getan, am Abend stand sie wieder gesund auf den Beinen.
    Bei uns oben in den Bergen macht man es immer so, wenn es den Kühen nach dem Kalben schlecht geht. Man gibt ihnen kochendheißen Wein mit Zucker oder auch Honig, falls vorhanden, und schnell kommt das Tier wieder zu Kräften.
    Von da an

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