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Im Tal des Vajont

Im Tal des Vajont

Titel: Im Tal des Vajont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mauro Corona
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am folgenden Tag meinen Karren und ging durch die Ortschaften im Umkreis, weil ich nach dem Geschehenen nicht den Mut aufbrachte, ihrem Mann zu begegnen und ihm in die Augen zu sehen. So kam ich nach Gorgo, San Giorgio, Precenicco, Pocenia, Fraforeano und in andere Dörfer.
    Zwei Tage darauf kehrte ich gegen Abend zurück und hatte mir zuvor schon mit reichlich Wein Mut angetrunken. So ging ich sie erst gar nicht begrüßen in der großen Küche, wo sie speisten, sondern stracks in den Stall und warf mich aufs Stroh. Aber sie hatte meinen Karren gesehen und kam bald darauf zu mir. Sie setzte sich nah zu mir heran und begann mir von ihrem Leben zu erzählen, ihren Söhnen, ihrem Mann und allen anderen in der Familie. Sie sagte, sie sei mit ihrem Leben hier unzufrieden, und wären nicht die Kinder, dann wäre sie schon für immer fortgegangen, um ihr eigenes Leben zu leben. Und es würde ihr auch gefallen, mit mir in mein Dorf zu ziehen; kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, erwiderte ich, ja, das wäre schön, nur hätte ich nicht die geringste Lust mehr, in mein Dorf zurückzukehren. Warum, fragte sie, und ich antwortete, ich wüsste gar nicht genau, warum, aber in mein Dorf zurückkehren, davon wollte ich überhaupt nichts hören. Dabei wusste ich ja den Grund nur zu gut. Zu viele üble Erinnerungen kamen in mir hoch, als ich den bloßen Namen Erto hörte.
    Während sie so mit mir sprach, merkte sie auf einmal, dass ich getrunken hatte, und da wurde sie ganz traurig und verzagt, verabschiedete sich und ging.
    An den folgenden Tagen tat ich so, als wäre nichts geschehen, half bei der Feldarbeit kräftig mit, und das war ein gutes Zeichen. Dabei wollte ich ihr nur nah sein, denn ich hatte gemerkt, dass ich mich bei ihrem bloßen Anblick besser fühlte und mich die Gedanken daran, wie ich Raggio zugrunde gerichtet und getötet hatte, nicht mehr so quälten.
    Tag und Nacht kam all mein Unglück und all das meiner Familie in mir hoch, mein ganzes ruiniertes Leben. Und jetzt, da ich schon alles aufgeben und wie ein Landstreicher nur noch verzweifelt im Friaul herumziehen wollte, um mich selbst loszuwerden, stieß ich noch einmal auf jemanden, der mich festhielt und mir Hoffnung gab.
    Aber ich konnte diese Hoffnung nicht annehmen, denn nach dem, was ich getan hatte, durfte ich auf nichts mehr hoffen.
    Also beschloss ich, dem Leben wie ein Dieb noch ein paar Stunden zu rauben, solange ich nicht die Kraft fand, fortzugehen von dieser Familie und von dieser Frau, von diesem ganzen Jammertal, wie die trunksüchtige Tante sagte.
    Ich fand sie tatsächlich nicht, diese Kraft, und je mehr Zeit ich mit ihr verbrachte, desto weniger fand ich sie.
    Wenn ihr Mann nicht da war, kam sie zu mir in den Stall, und dann blieben wir eng umschlungen beieinander, bis der neue Tag anbrach. In diesen wenigen Stunden dachte ich an nichts mehr, doch hin und wieder kam mir Raggio in den Sinn, und dann war es, als kröche mir eine todbringende Kälte von den Füßen bis in den Kopf hinauf, und in solchen Augenblicken gefiel selbst sie mir nicht mehr.
    Oft kam mir der Gedanke, mich auf der Stelle umzubringen und so allem ein Ende zu setzen, und wenn ich nicht diese Frau gefunden hätte, die mich am Leben hielt wie ein Zicklein an der Leine, hätte ich es vielleicht schon getan.

Langsam schleppten sich so die Tage, einer nach dem anderen, voran bis in den Juni hinein, während wir zwei uns weiter im Stall trafen. Ich werde nie vergessen, wie gut es mir mit ihr ging und wie gut wir zusammenpassten. Während die letzte Frau nur gereizt und launisch war und wenig oder gar nichts sagte, fand ich mich mit dieser jetzt im Paradies wieder. Sie war nie erzürnt und redete immer gütig mit mir, und auch wenn ich getrunken hatte, behandelte sie mich mit Respekt. So fing ich an, sie immer mehr lieb zu gewinnen, nicht nur sie, sondern auch ihre Kinder, die mich unbeschwert anlachten, wenn sie mich sahen, und Berggeschichten von mir hören wollten. Also erzählte ich ihnen Geschichten von meinem Dorf, den Bergen, von Schnee und Winterkälte, von Waldtieren und der Jagd auf sie.
    Wie schön es gewesen wäre, eine solche Familie zu haben, zusammen mit ihr und den beiden Kindern! Aber das Schicksal hatte schon anders für mich entschieden.
    Tag und Nacht dachte ich darüber nach, ob ich fortgehen oder bei dieser Familie bleiben sollte, wo ich für Stunden noch ein wenig Frieden fand und mich noch als lebendiger und normaler Mensch fühlen konnte.
    Anfang Juni

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