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Im Tal des wilden Eukalyptus

Im Tal des wilden Eukalyptus

Titel: Im Tal des wilden Eukalyptus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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du über mich urteilst.« Er drehte den Schlüssel und öffnete die Tür ein Stück, dann sah er Duncan an. »Keine Sorge – er ist unversehrt.«
    Zum ersten Mal seit Stunden schien Duncan aus seiner Erstarrung zu erwachen. »Ihr … habt ihn nicht …«
    Â»Nein. Ich habe ihn gleich … danach hier eingeschlossen. Niemand hat ihn angerührt.«
    Duncans Blick verschleierte sich. »Danke«, flüsterte er heiser, dann schob er sich durch die halbgeöffnete Tür ins Innere des Gebäudes.
    McIntyre sah ihm nach. Er machte einen Schritt, als wollte er Duncan folgen, dann blieb er stehen. Zögerte.
    Â»Ich … Es ist wohl besser, wenn ich ihn jetzt nicht störe.« Er räusperte sich. »Würdest du ihm etwas ausrichten?«
    Moira nickte.
    Â»Nun, durch diese ganzen … unerfreulichen Ereignisse hat sich meine Planung etwas verschoben. Dennoch muss ich darauf bestehen, dass er sein Wort hält und an zwei Tagen in der Woche bei mir arbeiten wird.«
    Â»Lasst ihm doch etwas Zeit! Er hat gerade …«
    Â»Natürlich«, unterbrach McIntyre sie rüde. »Hältst du mich für einen Unmenschen? Er soll seine Zeit haben. Aber am Freitagmorgen um zehn Uhr erwarte ich ihn bei mir. Pünktlich. Kannst du ihm das ausrichten?«
    *
    Lautes Schluchzen, Weinen und Wehklagen erfüllte die kleine Lichtung mitten im Wald. Jeder der anwesenden Eora – Männer, Frauen, sogar die Kinder – hatte sich Haut und Haare mit Asche eingerieben, so dass ihre Körper jetzt stumpfgrauen Totengeistern ähnelten. Immer wieder war fen sich die Frauen des Clans heulend zu Boden und wälz ten sich auf der Erde, um zu zeigen, wie groß ihre Trauer war. Ningali waren diese laut geäußerten Gefühlsausbrüche zwar vertraut, dennoch schrie und klagte sie nicht, sondern stand lediglich stumm bei den anderen und sah zu. Genau wie Dan-Kin und Mo-Ra.
    Trotz allen Schmerzes über den Tod ihres Vaters freute es Ningali, dass auch Dan-Kin seinen Körper, der nur mit ­einem Lendentuch bekleidet war, mit Asche eingerieben hatte. Auf den ersten Blick war er so kaum von den anderen zu unterscheiden. Mo-Ra hatte sich als Zugeständnis an die Bräuche der Eora Asche ins Gesicht gerieben. In ihren Händen hielt sie einige prachtvolle, rotblühende Waratah .
    Viele Vorkehrungen und Rituale waren bei einem Begrä bnis wichtig. Die Großmutter stimmte nun den Gesang an, der davon erzählte, wie die beiden Seelen des Menschen frei wurden von der Gefangenschaft im Körper. Wie die eine der beiden Seelen beim Tod eines Menschen den Körper ve rließ und dorthin zurückging, woher sie gekommen war – in die Zeit des großen Träumens, des Universums und der Schöpfung. Doch der andere Teil der Seele, der Seelengeist, fand keine Ruhe. Er blieb noch lange in der Nähe des Körpers und bei seinen Angehörigen. Um zu verhindern, dass der Seelengeist die Lebenden heimsuchte, musste er vertrieben werden – mit Gesängen, Tänzen und Ritualen. Zwei Tage lang hatte der ganze Clan neben Bun-Boes Leichnam Lieder gesungen, sich mit gelbem Ocker bemalt und vor den Feuern getanzt. Später hatten Tedbury, der Sohn desjenigen , dessen Name jetzt nicht mehr genannt werden durfte, und andere Männer des Clans den toten Körper mit rotem Ocke r und Federn geschmückt, um seinen beiden Seelen Kraft und Mut für die Reise ins heilige Land der Ahnen zu geben. Erst wenn auch der Seelengeist in die Geisterwelt des Wal des gegangen war, konnte der Verstorbene beigesetzt werden.
    Messer aus Stein wurden von Hand zu Hand gereicht. Aus den Schnitten, die sich viele damit zum Zeichen der Trauer beibrachten, floss es rot über die grau gefärbte Haut . Wenn diese Schnitte verheilt wären, wäre die Trauerzeit vorüber.
    Ningali spürte kaum den silberhellen Schmerz, als sie die steinerne Klinge durch ihre Haut zog. Einmal, zweimal, dreimal über Schultern und Oberarme, an jeder Seite. Dann gab sie das Messer an Dan-Kin weiter.
    Mo-Ra wollte zuerst etwas einwenden, hielt sich dann aber zurück und sah nur mit zusammengepressten Lippen zu, wie auch Dan-Kin sich einige Schnitte zufügte. Dunkel strömte das Blut über seinen aschebedeckten Oberkörper.
    Ningali trat neben Dan-Kin. Als Blutsverwandte des Toten durften sie beide während des gesamten Rituals kein Wort

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