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Im Tal des wilden Eukalyptus

Im Tal des wilden Eukalyptus

Titel: Im Tal des wilden Eukalyptus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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hatte es noch nicht über sich gebracht, ihn mit McIntyres Aufforderung, sich morgen früh bei ihm einzufinden, zu behelligen.
    Auf und nieder fuhr ihre Hand, streifte die Kardätsche am Striegel ab, glitt erneut über das kurze, glatte Fell. Die sanften, gleichförmigen Bewegungen hatten etwas Besinnliches, und erstmals seit Tagen kam sie wieder zum Nachdenken. Und sie musste dringend nachdenken. Das war sie auch Joseph schuldig.
    Sie hatte mit Duncan noch nicht über das gesprochen, was sein Vater bei ihrem Besuch im Kerker behauptet hatte: dass ihr ehemaliger Gemahl Männer liebte. Jetzt, da sie erneut darüber nachsann, schien ihr diese Vorstellung noch absurder als damals.
    Â»Was meinst du, Artemis«, murmelte Moira. »Joseph hat sich diese ganze Sache doch sicher nur eingebildet.«
    Artemis schüttelte den großen Kopf und schnaubte, als wollte sie Moira widersprechen.
    Â»Nicht?«, fragte Moira. »Du meinst, er hat recht?«
    Da war noch etwas. Etwas, das an die Ränder ihres Bewusstseins klopfte, das sich aber beharrlich dahinter versteckte. Nur eine Ahnung, wie eine winzige, weit entfernt brennende Kerze, schimmerte durch das Dunkel.
    Moira ließ die Kardätsche sinken. Joseph war nicht der Einzige gewesen, der so etwas behauptet hatte. Aber wo, wann – wer?
    Sie legte eine Hand auf die Pferdekruppe und schloss die Augen, versuchte, die Gegenwart auszublenden und sich nur auf diese Fragen zu konzentrieren.
    Bilder tauchten vor ihrem geistigen Auge auf, vermischten sich mit starken Gefühlen. Ein silbriges Aufblitzen. Schreie. Hektik. Angst. Blut. Viel Blut. Wo zum …
    Sie keuchte auf, als es ihr mit plötzlicher Wucht wieder einfiel: Penrith! Auf dem Marktplatz, kurz vor seinem Tod! Wie Schuppen fiel es ihr von den Augen. Erneut sah sie sich selbst, wie sie nach der ersten heillosen Verwirrung von dem behelfsmäßigen Tisch sprang und dorthin eilte, wo Penrith blutüberströmt zusammengebrochen war. Hörte, was er panisch hervorstieß: »McIntyre, Ihr verdammter Sodomit!«
    Diesen Fluch hatte sie angesichts Penriths schwerer Verwundung lediglich für ein böses Schimpfwort gehalten und ihm keine weitere Bedeutung beigemessen. Aber nun schlug es in dieselbe Kerbe wie Josephs Worte.
    War es so? War es wirklich möglich, dass es McIntyre nach Männern statt nach Frauen verlangte – und sie die ganze Zeit nichts davon geahnt hatte? Aber wie hätte sie es auch wissen können? Er hatte sich nie durch irgendetwas verraten.
    Dass McIntyre sie nur geheiratet hatte, um einen Sohn und Erben mit ihr zu zeugen, war kein Geheimnis. Vermutlich hatte er sie nicht einmal als Frau begehrt. Hatte er sich zum Verkehr mit ihr zwingen müssen? Durchaus möglich. Ganz zu schweigen von ihr selbst, für die es stets nur eine schmerzhafte Pflichterfüllung gewesen war.
    Aber war ihr denn wirklich niemals etwas aufgefallen?
    Victoria! Wie ein Gewittersturm kam ihr der Abschiedsbrief von Victoria in den Sinn, McIntyres erster Frau, die sich das Leben genommen hatte. Moira hatte den Brief, der an McIntyre gerichtet war, einmal in seiner Truhe gefunden. Sie hatte lediglich ein paar Zeilen überfliegen können, bevor McIntyre ihn ihr aus der Hand gerissen hatte.
    Bis heute hatte Moira stets vermutet, ihre Vorgängerin sei aus dem Leben geschieden, weil sie herausgefunden hatte, dass ihr Ehemann sie betrüge, vielleicht sogar ein Kind mit einer anderen Frau hatte, auch wenn Moira sich das nicht ernsthaft vorstellen konnte. Aber Victoria hatte in ihrem Abschiedsbrief geschrieben, McIntyre habe ihr das Herz gebrochen mit dem, was er getan habe. Sie hatte von Schande gesprochen. Von einer Schande, die so groß war, dass sie damit nicht weiterleben könne.
    Jetzt ergab alles einen Sinn: Wahrscheinlich hatte Mc­ Intyre seine erste Gemahlin tatsächlich betrogen. Aber nicht mit einer Frau. Und Victoria hatte von den verbotenen Leidenschaften ihres Gatten erfahren, ihn möglicherweise sogar dabei ertappt. Welch entsetzlicher Gedanke!
    Und jetzt – begehrte er Duncan, hatte Joseph behauptet? Nein, das konnte nicht sein. Und doch – wie groß war ihre Überraschung gewesen, als McIntyre den Sträfling, der sie damals im Busch vor dem brutalen Aufseher gerettet hatte, zu seinem Gehilfen erklärt hatte. McIntyre war zwar auch danach kein Ausbund an Fröhlichkeit gewesen, doch Moira war aufgefallen, wie

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