Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
ihm. Wie ein schleichendes Gift, das Liam Stück für Stück das Leben raubte. Die Schatten unter seinen Augen waren früher nicht dagewesen, und die feinen Linien um seinen Mund waren nicht von Fröhlichkeit dort hingezeichnet worden.
Wie sie ihn so ansah und all die kleinen Veränderungen entdeckte, wuchs der Wunsch, die Ursache seines Kummers zu ergründen. Es hatte mit ihr zu tun. So musste es sein! Seine Reaktion wäre sonst anders.
» Da vorn entlang, dann geht es schneller « , sagte Johanna nach einer Weile, als ihr das Schweigen immer unangenehmer wurde.
Der Weg teilte sich und führte entweder nah am Wasser entlang, wo er sich um diese Jahreszeit in knietiefen Schlamm verwandelte, oder ein Stück bergauf durch die Harakeke -Felder.
Liam sah sich neugierig um. Wie sie, so konnte auch er die Stimmen der Frauen und Männer hören, die irgendwo in dem mannshohen Blättergewirr Flachs schnitten und dabei sangen, als sei nichts geschehen, als seien in der Nacht nicht zahlreiche Menschen gestorben.
» Werdet ihr gegen die Dorfbewohner kämpfen? « , fragte Johanna vorsichtig.
» Ich habe nicht das Sagen, aber wahrscheinlich nicht. Es ist schwierig, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Der Priester berichtete, dass eure Farm angegriffen wurde. Wenn du einen der Krieger wiedererkennst, werden wir ihn zur Rechenschaft ziehen. «
» Ich habe hier viele Freunde, Liam, die Menschen arbeiten für mich « , brachte sie ihre Sorge zum Ausdruck und erntete von ihm ein knappes Nicken.
» Ich verstehe. «
Südbuchen ragten aus dem Flachsfeld auf, dahinter wurde der Bewuchs niedriger. Ein paar Frauen arbeiteten auf dem Feld, hackten Saatfurchen in die satte Erde. In einem Misthaufen wühlten gefleckte Schweine.
Die Idylle war trügerisch. Auf einer Wiese, die zuvor den wenigen Pferden und Rindern Urupuias als Weide gedient hatte, reihten sich nun die Zelte der Soldaten. Der Anblick überraschte Johanna.
» Seit wann seid ihr hier? «
» Gestern Nachmittag sind wir in ein Scharmützel geraten, abends haben wir das Lager hier aufgeschlagen « , gab Liam Auskunft.
Sie ritten an einem kleinen, mit Palmblättern gedeckten Unterstand vorbei, in dem Verwundete saßen und mit einem Maori um Tabak feilschten.
Offenbar fürchteten die Bewohner die anwesenden Soldaten nicht. Die Verwundeten grüßten Liam respektvoll, dieser parierte durch. Johanna zog überrascht die Zügel an.
» Unsere Wege trennen sich hier « , sagte er hastig mit tonloser Stimme. Er rang um Fassung.
» Sehe ich dich später? «
» Vielleicht « , gab er knapp zurück und ritt davon.
Endlich war Johanna fortgegangen. Liam horchte, doch in dem kleinen Zimmer war es still. Nicht einmal der Atem von Thomas Waters, des einzigen Patienten, war zu hören. Die Nacht war still, bis auf das dumpfe Rascheln der Motten, die um die Laternen schwirrten, und die leisen Gespräche der Soldaten an den Lagerfeuern. Am Nachmittag waren einige weiße Siedler angekommen. Sie hatten von der Anwesenheit der Soldaten gehört und suchten nun Schutz in ihrer Nähe. Liam hatte gemeinsam mit dem Kommandanten versucht, herauszufinden, was in diesem Tal geschehen war. Es war alles andere als einfach. Die Einwohner Urupuias berichteten grausame Dinge, von Landraub und blutigen Vertreibungen. Alle sahen in Thomas Waters die Wurzel des Übels. Die Siedler, die er angeworben hatte, wussten entweder nicht, dass das Land, das sie gepachtet hatten, gar nicht Waters gehörte, oder sie schrien nach blutiger Vergeltung. Am liebsten hätten sie Urupuia dem Erdboden gleichgemacht. Als sie bemerkten, dass die Dragoner nicht hergekommen waren, um Vergeltung zu üben, weigerten sich viele, mit Liam und seinem Vorgesetzten zu sprechen. So wie es aussah, würde es keinen Kampf geben. Die Kriegerverbände, die für die Plünderungen und Überfälle verantwortlich gemacht wurden, waren weitergezogen und wurden von Soldaten verfolgt. Die Einheimischen hatten sich dank ihrer Freundschaft zu Johanna Waters kaum oder nur im geringen Maße beteiligt. Der Dorfvorsteher hatte allerdings eines sofort klargemacht: Die nun heimatlosen weißen Siedler waren ihm ein Dorn im Auge und in Urupuia nicht willkommen. Sie mussten gehen.
Johannas Rolle in dem Verwirrspiel zwischen Pakeha und Maori wurde ihm noch immer nicht ganz klar, doch dafür blieb ihm später noch Zeit. Jetzt galt es, einen Schwur zu erfüllen, und sein Ziel war zum Greifen nah. Das kleine Lazarett war wie ausgestorben, als schien die
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